29.11.1984

Schwäbische Zeitung 29.11.1984

In Südamerika Feier seines Gedächtnisses, in Deutschland vergessen:

Johannes Stiehle, Ordensbruder aus Dächingen, Erbauer des Doms von Cuenca

1982 wurde zu seinem Gedächtnis ein neues Gemeindezentrum nach ihm benannt

Text und Bilder von Veit Feger

Im nächsten Jahr wird in Ecuador/Südamerika das hundertjährige Bestehen eines der schönsten Gotteshäuser des Landes und überhaupt des Kontinents gefeiert: des Doms von Cuenca (Foto). In Cuenca wird auch das Gedächtnis des Mannes begangen, der den Plan für den Dom entwarf und den Bau leitete; vor einiger Zeit wurde eigens ein großes neues Pfarr- und Diözesanzentrum in der Großstadt Cuenca auf seinen Namen "getauft" und auch sogar ein etwa zwei Quadratmeter großes Bild des Dombaumeisters an der Außenseite des Pfarrzentrums angebracht, das den Architekten mit seinem Hauptwerk im Hintergrund (Foto) zeigt. Eine Gedenkschrift zum Domjubiläum bezeichnet den Architekten als genialen Mann.

Was geht uns Deutsche das an? - Dieser Architekt - nicht nur des Domes von Cuenca, sondern vieler weiterer Kirchen, Krankenhäuser, Schulen, großer Wohnhäuser, Brücken, etc. etc. - war ein Deutscher, stammte aus dem Raum Ehingen, aus Dächingen. Er verließ vor 135 Jahren sein Heimatdorf, und so ist sein Name heute in Dächingen nur noch wenigen Verwandten bekannt, seine Bedeutung als Baumeister und Künstler ist fast vergessen, sie war überhaupt nicht richtig bekannt. Freilich: wer konnte sich in Deutschland ein Bild machen von der Tätigkeit Johann Baptist Stiehles, solange es keinerlei Fotos von allen diesen Bauten hier in Deutschland gab.

Südamerika - was wird da schon los sein?!

Jetzt gelang es Nachforschungen von Altbürgermeister Holzmann und der Redaktion der Schwäbischen Zeitung, Fotos von Bauwerken zu erhalten, für die J. B. Stiehle als Planer und/oder Bauleiter verantwortlich war, und weitere Einzelheiten über ihn zu erfahren. Und diese Bilder, von denen wir einige hier veröffentlichen, sagen mehr als viele Worte. Wenn Stiehle auch von einem Ordensbruder nach seinem Tod 1899 in einem Schreiben an die Dächinger Verwandtschaft in höchsten Tönen gepriesen wurde (der Text wurde damals für Dächinger Bürger auch im Haus Feger in Ehingen gedruckt), so brachten und bringen doch erst Bilder seiner Bauten den Eindruck, den Worte nie machen können. Dabei beziehen sich die hier veröffentlichten Fotos im wesentlichen nur auf Fotos von Bauten in und um die ecuadorianische Großstadt Cuenca; Stiehle hat aber auch für die tausende Kilometer entfernte Ordensniederlassung der Redemptoristen in Chile eine Kirche entworfen und für weitere kirchlich bestimmte Bauten in weiteren Staaten Südamerikas. Die Arbeit in allen diesen Orten zu dokumentieren, wird eine weitere Aufgabe sein, bei der sich BM Holzmann und die SZ gerne unterstützen lassen.

Alles, was bisher in Dächingen an das Leben J. B. Stiehles erinnerte, war die Veröffentlichung von 1898, die wohl noch in einigen Häusern vorhanden ist, dazu Briefe Stiehles aus Südamerika an seine Dächinger Geschwister (in Familienbesitz). Eine alte Dächingerin, Ordensfrau, die jetzt im Mutterhaus Reute ihren Ruhestand verbringt, weiß noch aus Erzählungen ihrer Eltern einiges über die Person und das Leben J. B. Stiehles beizusteuern.

Was niemand erwartet hatte: Antwort aus Ecuador

Das Schriftchen des Redemptoristenpaters Augustinus Georgius Kaiser, eines Landsmannes von J. B. Stiehle in Ecuador, war als lateinisch verfaßtes Schreiben nach Europa gekommen und war von dem Altsteußlinger Studenten Ludwig Mauch ins Deutsche übersetzt worden, ist aber schon lange vergriffen. Daß dieser wohl bedeutendste Sohn Dächingens vergessen sein sollte, bekümmerte den Dächinger Heimatfreund Holzmann. Freilich, was tun? Woher etwas erfahren? War der Mann nicht auch schon in Südamerika womöglichst längst vergessen, fragten wir uns in diesem Frühjahr. Anderes Land, andere Sprache, anderer Kontinent. Auch der SZ-Mitarbeiter, der dann auf den Gedanken kam, es doch mit einem spanischen Brief an eine - vielleicht noch bestehende - Ordensniederlassung der Redemptoristen in Cuenca zu versuchen, erschien von vornherein als Schuß ins Leere, als nutzlose Arbeit. Wer kann sich die Freude vorstellen, daß auf den Brief nach Südamerika einige Wochen später Antwort kam, mit den hier veröffentlichten und weiteren Bildern, mit einem größeren vervielfältigten Text aus dem Jahre 1982, verfaßt im Zusammenhang mit der Weihe des "Pfarrzentrums Juan Bautista Stiehle", und mit einer gedruckten kleinen Festschrift zum Domjubiläum. Und wie es der Zufall will: die Zeitschrift des deutschen Missionshilfswerks Aachen, Missio, veröffentlicht jetzt gerade in ihrer November/Dezember-Ausgabe ein Foto aus Cuenca, in dem der dortige Dom und gleich daneben noch ein weiteres von Stiehle geplantes schönes Haus zu erkennen sind (dem Fotograf, dem Deutschen Klaus Herzog, ging es freilich nicht um den Erbauer des Domes und des Hauses, sondern um Bräuche in dem südamerikanischen Land).

Wir möchten im folgenden versuchen, das Leben J. B. Stiehles nachzuzeichnen, aufgrund der Kaiserschen Biografie, aufgrund der Mitteilungen aus Südamerika, aufgrund von Stiehles Briefen und heutiger Erinnerungen. Des weiteren soll auch Stiehle selbst mit Ausschnitten aus seinen Briefen an seine Verwandten zur Sprache kommen.

Johannes Stiehle kam in Dächingen am 1. Juni 1829 zur Welt. Sein Vater Tiberius stammte sehr wahrscheinlich aus Untermarchtal und war wegen frühem Elternverlustes von dem Dächinger Ehepaar Johannes Koch und Anna Maria Zieglerin aufgezogen worden. Tiberius und seine Frau Anna Maria geb. Geißelhart (Eheschließung 1815) hatten 16 Kinder, von denen zwölf erwachsen wurden. Johannes war das elfte Kind unter den 16; ein früheres Kind hatte gleichfalls schon Johannes geheißen, war aber früh gestorben.

Der kleine Johannes wuchs in einer selbstverständlich frommen Umgebung auf. Seiner Mutter soll schon bald aufgefallen sein, daß in dem kleinen Johannes eine große Seelen- und Willenskraft steckte.

Handwerkslehre in Oberstadion, Bekehrung, Ordenseintritt

Soweit erkennbar, erlernte Johannes die Berufe Zimmermann und Hufschmied, u. a. in Oberstadion, wo ihn anscheinend sein Lehrherr gern mit seiner Tochter verheiratet hätte.

Auf dem Weg zwischen Dächingen und Oberstadion badete der junge Johannes einmal nachts in der Donau und wäre in einem Strudel fast ertrunken, kam aber dann doch wieder an Land, worin der Gerettete göttliches Wirken erkennen wollte (so schreibt er in einem Brief Jahrzehnte später an einen seiner Dächinger Brüder). Solche Situationen, wo ihm der sichere Tod vor Augen stand und dann der unerwartet glückliche Ausgang folgte, erlebte er mehrmals; für ihn, waren es Zeugnisse göttlichen Wirkens. Stiehle erinnert sich auch, daß er einmal von einem hohen Gerüst in einer Kirche fiel und unversehrt blieb, ebenso, daß ein Haus über ihm zusammenstürzte und ihm nichts geschah (beides in Teterchen/Lothringen; davon weiter unten), daß er in Südamerika schwer krank war, so daß ihn alle Ärzte aufgegeben hatten, er aber doch plötzlich wieder gesundete. Diese als Wunder erfahrenen Vorgänge bringt Stiehle aber nicht von sich aus "auf's Tapet", sondern schildert sie als Antwort auf einen weiteren solchen Vorfall, an den sich der Bruder in Dächingen in einem Brief erinnert, den der Adressat in Südamerika aber vergessen hatte.

Wieder zurück. Soweit rekonstruierbar wurde der religiös schon sehr empfängliche junge Handwerker bei einer der damals häufigeren sogenannten Volksmissionen besonders ergriffen. Aus der vom Lehrherrn geplanten Verheiratung seines Gesellen wurde nichts. Prediger der Volksmission, so heißt es in dem biografischen Text aus Ecuador, auf den wir uns jetzt stützen, war ein Redemptorist. Und die Begeisterung, die dieser Volksmissionar entfachte, scheint so groß gewesen zu sein, daß laut unserem, südamerikanischen Gewährsmann auch der Ortspfarrer Josef Schneider, "der sich anscheinend der religiösen, Berufung des jungen Stiehle widersetzte", Mitglied des Ordens werden wollte.

In Teterchen, Dep. Mosselle

Seltsam ist, daß die deutschen Redemptoristen den jungen Johann nicht aufnehmen wollten. Aber über die Vermittlung des Ordens wird eine Aufnahme im Ausland möglich, in einer der drei französischen Ordensprovinzen, in dem kleinen Ort Teterchen im damals französischen Lothringen, Departement Mosselle, nähe der Grenze zum Saarland zu (Zwanzig Jahre später wurde dieser Teil bis 1918 deutsches Reichsgebiet). Soweit erfahrbar, haben die Redemptoristen heute dort keine Niederlassung mehr.

In Teterchen also beginnt J.Stiehle am 28. Dezember 1850 sein Noviziat, die Profeß folgt am 19. Januar 1854, also nach über drei Pro- bejahren. Bis 1873 bleibt J.Stiehle in Teterchen. Er arbeitet vor allem in seinem erlernten Beruf, aber auch, wenn es nötig war, als Koch.

Briefe in die Dächinger Heimat

Aus Teterchen haben wir nun die ersten persönlichen Lebenszeugnisse von Johannes Stiehle, seine Briefe an die Eltern und später auch die Geschwister. Einige - oder alle? - Briefe wurden in einigen der verwandten Familien bis heute aufgehoben und für diesen Text zur Verfügung gestellt. Franz Holzmann war bei der Entzifferung behilflich, schließlich sind die Briefe in "deutscher" Schreibschrift gehalten und - man möchte fast schon sagen - mikroskopisch klein geschrieben, mit etwa drei Millimeter hohen Buchstaben; es mußte damals wohl an Papier wie an Porto gespart werden.

Der erste uns erhaltene Brief in die Dächinger Heimat stammt vorn 14. November 1852, der letzte, wenige Jahre vor dem Tod geschrieben, stammt aus dem Jahre 1895, aus Südamerika.

Alle Briefe enthalten immer ein gut Teil religiöse Erbauung und Ermahnung in einer Art, wie sie für die katholische Predigt und Literatur der letzten Jahrhunderte, bis in die sechziger Jahre dieses Jahrhunderts bei uns, anderswo wohl auch heute noch, üblich war. J. Stiehle ist ein guter - wenn auch für uns heute vielleicht streckenweise etwas zu blumenreicher- Stilist. An den Briefen wird deutlich, daß er geistig und bildungsmäßig nicht nur ein einfacher Handarbeiter war. Alle Briefe an die Eltern enthalten immer wieder Äußerungen des Dankes, an die Geschwister wird immer wieder die Bitte guten Einvernehmens gerichtet.

 "Etwas größer als die Frankenhofer Kirche"

Zum Teil enthalten die Briefe auch geschichtlich interessante Angaben, wenn er -aus Teterchen und später aus Cuenca - die, "Daheimgebliebenen" über die Ernteaussichten in "Lothringen" und dann "im Equator" unterrichtet. Aus Teterchen berichtet der junge Johann auch nach Hause, man habe hier im Sommer (1852) eine neue Kirche gebaut, "die noch etwas größer ist als die Kirche von Frankenhofen"; der Bischof von Metz weihte sie. Immer wieder betont der junge Mönch, daß er in höchstem Maße glücklich über die getroffene Wahl sei: "glaubet nicht wie so viele Menschen in der Welt glauben, daß die Ordensleute ein trauriges Leben haben". Die Eltern und Geschwister möchten sich ihn niemals als "einen traurigen vorstellen, sondern als einen fröhlichen und der alle Ursache hat, fröhlich zu sein".

"Es gibt gute und es gibt bessere Orden"

In einem weiteren Brief, vom 9. Mai 1853, erinnert er sich an die Seelsorger seiner Heimatgemeinde, insbesondere den Altsteußlinger Pfarrer Wien, dessen Gedächtnis auf der Ehinger Alb anscheinend auch heute noch nicht ganz erloschen ist. - In einem Brief vom 24. Oktober 1867 befaßt sich J. Stiehle ausführlich mit dem geplanten Ordenseintritt seiner Nichte Theresia. Er ist der Meinung, daß es verschieden geeignete Orden gibt, äußert aber diese Meinung sehr diplomatisch mit dem Satz: "Es gibt gute Orden, bessere Orden und sogar noch bessere Orden". Und er hält es immerhin für möglich, daß bei einer falschen Ordenswahl die Nichte lebenslang unglücklich werden könnte. (Un ser Ordensmann scheint also nicht nur gute Orden zu kennen). Die richtige Ordenswahl der Nichte scheint ihm wichtig zu sein und alles Für und Wider gar nicht genug in einem Brief zu entfalten, so daß er den Brüder samt dessen Tochter bittet, ihn zu einem Gespräch in Teterchen zu besuchen. Er gibt genaue Reiseanweisungen, etwa der Art, daß zwischen Mannheim und Ludwigshafen noch keine Bahnverbindung besteht und man deshalb über das Rheinufer eine halbe Stunde von einem Bahnhof zum anderen gehen muß, er nennt einen Bäcker und Gastwirt "in der französischen Straße" in Saarlouis, von, wo aus die Dächinger Verwandten entweder zu Fuß (mehrere Stunden) oder mit dem Klosterwagen bis nach Teterchen gelangen könnten. Für den Grenzübertritt empfiehlt Bruder Johannes weltklug, es sei das beste, wenn die Nichte einmal gewaschene Hemden mitnimmt, "wegen der Zollsteuer". Auch im Fall der Schwester scheint es übrigens damals in Frankreich leichter als in Deutschland gewesen zu sein, ein aufnahmebereites Kloster zu finden.

In Ecuador - und gleich stellt der Bruder in Quito eine Orgel auf

1873 wird Johannes nach Südamerika geschickt, wo sein Orden zu dieser Zeit eine Niederlassung aufzubauen beginnt: Am 16. Dezember 1873 kommt Johannes Stiehle in Riobamba, einer Stadt in Ecuador, an, zusammen mit Pater Courtot und drei anderen Ordensbrüdern. Gleich nach seiner Ankunft dort wird er weiterbeordert, in die Landeshauptstadt Quito, wohin ihn der dortige Erzbischof gerufen hatte, "um die Orgel der Kathedrale einzubauen", wie unser südamerikanischer Gewährsmann schreibt. Es ist die erste Nachricht über eine eigenständige technisch-planerische Arbeit Stiehles, von der wir erfahren, und gleich eine höchst spezialisierte. Dem Ordensbruder muß also schon aus der Lothringer Zeit der Ruf eines hervorragenden Technikers (in jeder Richtung) vorausgeeilt sein.

Leider haben wir über den mehr als zwanzig Lebensjahre umfassenden Lebensabschnitt in dem dortigen Kloster noch so gut wie keine Kenntnis; Johannes schreibt fast nie etwas von seiner beruflichen Tätigkeit; man kann sich aber eigentlich nur vorstellen, daß er auch bereits im Noviziat an der oben erwähnten Teterchener Kirche mitgearbeitet hat, vielleicht auch gerade deshalb vom Orden dorthin geschickt wurde.

In unserem Text aus Ecuador wird auch gleich eine weitere Aufgabe für die erste Zeit in Südamerika genannt: "Bruder Juan entwarf und baute das große Missionskreuz" von Quito. Am 11. Mai 1874 reist er dann in die Provinzhauptstadt Cuenca, wo er die 25 Jahre bis zu seinem Tod bleiben wird. Sein Leben, so schreibt sein südamerikanischer Biograph "verläuft zwischen der Stille des Klosters und herausragender Tätigkeit als Architekt und Baumeister". (An dieser Stelle darf ein weiterer Dank eingeflochten werden, an den Ehinger Lehrer Wolfgang Bohusch, der die umfangreichen Texte, die der Verfasser dieses Beitrags aus Südamerika erhielt, alle ins Deutsche übertrug).

Im folgenden seien nun Stiehles vielfältige Architekten- und Ingenieurleistungen in Südamerika aufgeführt.

Bauleitung bei der Ordenskirche

Soweit erkennbar, scheint der erste große Bau, den Stiehle zwar nicht plante, dessen Bauleitung er aber hatte, die ordenseigene Kirche in Cuenca gewesen zu sein. Grundsteinlegung war 1875, Einweihung 1888. Ab 1890 wird ein neues Kloster gebaut, dessen Pläne von Stiehle stammen; zu seinen Lebzeiten hatte er auch die Bauleitung (wohl bis zu seinem Tod 1899). Dieses Kloster wurde 1904 vollendet und 1936 aufgestockt, scheint aber heute nicht mehr zu bestehen.

In diesem Zusammenhang sei angemerkt, daß die französische Ordensprovinz der Redemptoristen für die Ausdehnung nach Südamerika zuständig war und daß deshalb Stiehle bald nach ersten Mitgliedern des Ordens nach Ecuador kam. Weil Redemptoristen vor allem auch sogenannte Volksmission trieben, lag es nahe, daß sie sich um die Volkssprache kümmerten; so wurde einer der Patres, die mit Stiehle gleichzeitig in Cuenca waren, einer der bedeutendsten Sprachwissenschaftler der Indiosprache Ketschua. Zur Tätigkeitszeit Stiehles zählte die Redemptoristenniederlassung in Cuenca acht Priester, sechs Brüder und zwei Novizen; die Zusammensetzung war international: Schweizer, Spanier, Italiener, Franzosen, Deutsche waren darunter. Die Ordensniederlassung in Cuenca wurde San Alfonso benannt, nach dem Gründer des Ordens dem heiliggesprochenen Moraltheologen Alfons von Liguori.

In Chile und Peru nach Plänen Stiehles

Von dem Redemptoristenkloster von Cuenca sah Stiehle selbst noch die Vollendung der Kapelle und des Friedhofs der Gemeinschaft. Für den Orden arbeitete er auch an dessen Kirche in Riobamba mit. Weiter entwarf und war er Bauleiter für die Häuser und Kapellen des Ordens in Tarqui und Cojitambo. Er entwarf die Pläne für die Redemptoristen-Kirchen und -Klöster in Buga im Staat Kolumbien und in Cauquenes in Chile. Er entwarf die Pläne für die Altäre der Redemptoristenkirche von Lima (Peru).

In der Stadt Cuenca selbst waren weitere Arbeiten von ihm: der Einbau einer Orgel im alten Karmelkloster, der Bau des neuen Karmelklosters mit einer "wunderbaren Kapelle" (so unser südamerikanischer Gewährsmann), die hübsche neugotische Kapelle zum Heiligsten Herzen Jesu, ein Abendmahlsaal (?) zur nächtlichen Anbetung des Altarsakrarnents, die Schule der Christlichen Schulbrüder und die Mittelpunktschule der Schwestern der Nächstenliebe, des weiteren ein Teil des Diözesanseminars; Stiehle arbeitete mit beim Bau des Waisen- und des Krankenhauses von Cuenca. Für die ordenseigene Kirche in Cuenca schnitzte Stiehle die Altäre, Portale, Beichtstühle und die Kanzel und "kleidete, sie in liebliche Farben", auch schmückte er die Säulen und Wände der Kirche mit "frommen Inschriften und Reliefplatten" (so Pater Augustin Georg Kaiser in seinem Nachruf 1899). Von der neuen Karmelkirche schreibt Pater Kaiser. "Die Form des kleinen Gotteshauses, die lieblichen Farben, die Anmut des Altars, die angenehme Mannigfaltigkeit der Zierarten, die Einfachheit des ganzen Baus haben dem ebenso erfahrenen wie bescheidenen Künstler die dankbare Liebe der Jungfrauen und die aufrichtige Bewunderung der Besucher erworben". Für eine Klostergemeinschaft in Cuenca reinigte er deren tiefen Brunnen, reparierte ihn auch sonst.

"EI medico de las casas"

Außerhalb von Cuenca war Stiehle zuständig für den Bau einer Kapelle in Biblian, für den Turm der Kirche von Canar und die Friedhofskapelle dort, für die große Schule der Vorsehung in Azogues und die Schule der Dominikaner in Gualaceo.

An Profanbauten sind genannt als seine Planung: das Krankenhaus von Gualaceo, das "Haus" (wohl eher. der Stadtpalast) der Familie Ordoñez mit Torbogen und Säulenvorbau (in Cuenca) und zahlreiche weitere Häuser. Er renovierte alte oder erdbebengeschädigte Häuser, weshalb er den Namen "Häuserdoktor" ("el medico de las casas") erhielt. Er plante Straßen, Wasserleitungen und vor allem Brücken ("Leiter des Brückenbauamtes" ist 1884 eine der Aufgaben von Bruder Johann), so die Brücke über den Sayausi zwischen Capuli und Surucuchu, darunter vier Brücken der "Panamerica"-Straße, eine nördlich, eine südlich von Chuquipata, von Machangara und Salado.

Zehn Jahre für den Dom

Zehn Jahre, die letzten seines Lebens, befaßte sich Bruder Johannes gänzlich mit dem Bau der Kathedrale von Cuenca. Er leitete bereits die Ausschachtung der Grundmauern, die im Oktober 1885 begann, noch bevor endgültig über die Gestalt des Bauwerks entschieden war. Aus dem Jahre 1886 stammen dann die ersten heute noch erhaltenen Pläne für die Kathedrale aus der Hand von Bruder Johann. Diese ersten Pläne fanden nicht die Zustimmung des Bischofs und wurden dann in Buga/Kolumbien verwirklicht. Aus dem Jahre 1887 haben wir die Nachricht, daß er von einem Mitglied der obengenannten Familie Ordoñez, der sich in Europa aufhält, Baumaterial und Werkzeuge mitbringen läßt. 1888 wird zwischen Bischof und Redemptoristenorden ein Architektenvertrag geschlossen. Stiehles Pläne von 1888 finden dann die Zustimmung von Bischof León. "Ab 1889 muß »Bruder Juan« nicht nur technischer Direktor des Baus, sondern auch Oberaufseher und manchmal einfacher Hilfsarbeiter sein".

In Südamerika scheint damals niemand - wie das bei uns heute wohl unvermeidlich wäre - nach Diplomen und Zeugnissen gefragt zu haben; der Mann war durch frühere Arbeiten ausgewiesen - und auch für sie hatte er keine Diplome vorweisen müssen; in seiner deutschen Heimat hätte sich die Begabung von Bruder J. Stiehle wohl auch zu seinen Lebzeiten schon nicht so entfalten können wie in den Ländern Südarnerikas.

Heiligmäßiger Lebenswandel

Alle Texte, die vom Leben des Bruders berichten, schildern dieses Leben als heiligmäßig. Stiehle muß überall durch seine Freundlichkeit, Hilfsbereitschaft, Umgänglichkeit aufgefallen sein. Bewundert wurde er auch, weil er trotz vieler Krankheiten ständig arbeitete oder die Gebetspflichten erfüllte. Es wird berichtet, daß er während Krankheiten vor allem Pläne entwarf und sich auch mit letzter Kraft zur Kathedralen-Baustelle schleppte, um nach dem Rechten zu sehen. Bereits sein erster Biograph, sein Ordensbruder A. G. Kaiser, attestiert ihm einen heiligmäßigen Lebenswandel. Wie es sich gehört, war auch sein Tod schön und geschah bei Bewußtsein. Nach seinem Tod beteiligte sich die ganze Stadt am Trauerzug; Reliquien wurden erbeten. Soweit die Zeugnisse über J. Stiehle von Zeitgenossen und Späteren.

Fast kein Zeugnis von Stiehle selbst über seine Dombauzeit

Die Briefe, die Stiehle aus Südamerika nach Europa richtete, lassen seine Bedeutung hingegen kaum erkennen; von seiner Arbeit schreibt J. Stiehle an die Geschwister in Dächingen fast nichts; bekannt ist, daß er sich einmal - wohl in der Vorbereitungszeit des Kathedralenbaues - Bilder vom Ulmer Münster schicken ließ. Der Dom von Cuenca könnte diesem Gebäude aber allenfalls von der Fläche her entsprechen, nicht von der Form und Gestaltung der Fassaden. In seiner architektonischen Phantasie scheint Stiehle ein Kind seiner Zeit gewesen zu sein; der Stil, der Kathedrale könnte durchaus mit Großkirchenbauten der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Europa verglichen werden; Stilelemente verschiedener Zeiten (vor allem der Romantik und aus Byzanz) sind eingeflossen. Von einem weiteren Kirchenbau heißt es, wie erwähnt, er sei "gotisch" (wir sagen heute genauer: neugotisch).

Das einzige, was wir von Stiehles eigener Hand über die Arbeit an der Kathedrale wissen, ist folgender Briefpassus vom 8. März 1891, den er mit einem Foto des P1ans der Domhauptfront nach Dächingen schickte. "Ich bedauere, daß ich die Seitenansicht nicht habe, welche wegen ihrer drei erhöhten Kuppeln und großartigen Seitenpforte und zwei Reihen kleiner Thürme weit prachtvoller anzusehen ist ... ". Zur Arbeit dieses großen Planes war ich hier ohne auch nur das Buch der Architektur, noch das kleinste Heftchen zu haben und auch keinen Menschen, der mir in etwas helfen konnte; nur konnte ich mich eines Zeichnungsbuches bedienen, welches ich selber gemacht habe. Wie nützlich ist es mir alsdann, eine Zeichnung oder Beschreibung von großen Kirchen zu erhalten" (wie der vom Ulmer Münster).

Das große Problem einer Würdigung der architektonischen Leistung Bruder Stiehles ist, daß auch der hier veröffentlichte Text ohne persönlichen Augenschein verfaßt werden mußte; immerhin lagen wenigstens Fotos vor. Der nächste Südamerika-Reisende aus dem Raum Ehingen könnte sich um die weitere Darstellung der Arbeit Stiehles und um die Heimatgeschichte verdient machen, wenn er uns mit weiteren, gezielt entstandenen Fotos versehen könnte.

"Wir halten uns aus der Politik heraus und sind deshalb bei den Politikern beliebt"

Die Briefe Stiehles aus Ecuador befassen sich außer mit religiösen Ermahnungen auch mit der wirtschaftlichen und politischen Entwicklung des Landes. Dazu sei im folgenden noch einiges zitiert.

Mehrfach wird die Instabilität der politischen Verhältnisse beschrieben, eine Eigenschaft einiger südamerikanischer Staaten, die sich bis auf den heutigen Tag nicht geändert hat. Die Opponenten der Zeit Stiehles waren aber nicht so sehr verschiedene Klassen (wie das heute stellenweise der Fall sein kann), sondern verschiedene Fraktionen der selben Gutsbesitzerklasse, mit mehr "liberaler" und mehr "konservativer" Gesinnung. Nicht so selbstverständlich würden wir Heutigen dem Ordensbruder zustimmen, wenn er es für gut hält, daß sich sein Orden aus allen politischen Konflikten heraushält und deshalb bei jeder Partei im Staat wohlgelitten sei.

Stiehle berichtet beiläufig von vielen schlimmen Vorkommnissen (Erdbeben, Cholera-Epidemien etc.), die man damals wohl als etwas "normales" hinzunehmen gewohnt war. 1885, so berichtet er seinem Bruder Anton in Dächingen, wurde in Cuenca der erste "Telegraf" eingerichtet. Straßen und Brücken werden gebaut; "selbst haben wir schon eine gute Strecke Eisenbahn im Lande".

In diesem Zusammenhang kommt Bruder Johann auf ein Problem zu sprechen das wohl noch immer nicht ad acta gelegt ist: den christlich aufgezäumten Aberglauben in Südamerika. Der Bischof von Cuenca bemühe sich, so schreibt er, "übel verstandene Feste und Mißbräuche abzuschaffen". "Er hat für diesen Schritt sehr viele Verfolgung zu leiden. Denn die hiesigen Leute in ihren abergläubischen Trink- und Teufelsfesten anzugreifen, geht ihnen gleichfalls in den Augapfel, welches kein Stand und Geschlecht ertragen will und bereits alle ohne Ausnahme sich auf das Äußerste gegen ihn empören, ihn bald einen Ketzer oder Mann ohne Glauben nennen". In der eingangs erwähnten neuen "Missio"-Ausgabe wird die Art, wie Weihnachten in Cuenca heute gefeiert wird, beschrieben, und vermutlich dürfte auch gerade darauf die Kritik des Dächinger Ordensbruders gemünzt sein; anscheinend spielt bei der Verehrung des Christ-"Kinds" noch immer einiger Zauber und vor allem Alkohol eine große Rolle.

Des öfteren fühlt man sich bei Briefen Bruder Stiehles an die Gegenwart erinnert, so wenn er schreibt, daß "hier auf dem Äquator" eines der Hauptprobleme darin besteht, daß kein Geld vorhanden ist.

Noch offene Fragen

Die hier zusammengetragenen Materialien über Leben und Arbeit J. B. Stiehles sind noch unvollständig, vor allem fehlen Nachrichten über die 23 Jahre in Teterchen/ Frankreich.

Hatten wir gehofft, die Befassung mit dem Bruder, der anno 1899 starb, erspare uns näheren Kontakt mit dem schlimmsten Jahrhundert der deutschen Geschichte, dem 20., so sahen wir uns darin getäuscht. Bei der Nachforschung nach der Tätigkeit Stiehles in Teterchen wurden wir von der jüngeren Vergangenheit eingeholt; wir mußten von einem Straßburger Ordensmitglied erfahren, daß die Chronik des Klosters Teterchen (1850 bis 1945) gegen Ende des letzten Krieges zerstört wurde. Immerhin, so viel konnten wir auch erfahren: die Klosterkapelle wurde von Ordensmitgliedern selbst gebaut. Solche Tätigkeit scheint im Orden auch nichts ungewöhnliches zu sein, der Ordensgründer selbst, ursprünglich Jurist, dann Theologe, baute eigenhändig am ersten Kloster mit. Auf dieses Beispiel des Hl. Alfons hebt auch der, Text über Stiehle aus dem Redemptoristen-Kloster Cuenca aus dem Jahre 1982 ab. Es fehlt noch weiteres Text-, Bild- und Plänematerial aus Südamerika, das jetzt zu beschaffen versucht wird. Für Unterstützung bei diesen Sucharbeiten sind Ortsvorsteher Holzmann und die SZ-Redaktion dankbar. Es erschien aber angezeigt, auch vor dem vollständigen Vorliegen von Material wenigstens einen Schritt zu tun, das Gedächtnis eines bedeutenden, fast vergessenen Mannes zu erneuern.

 

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