Biografie Anno Salutis

C.F. Johannes Stiehle, geb. 1829, Profess 1854, gest. 1899

 1. Einführung

Diesen von Hochw. P. Kaiser verfassten Lebenslauf von Bruder Johannes Stiehle haben wir übernommen, den wir, wenn er auch ziemlich lang ist, nicht kürzen wollten, noch nahmen wir den von den Schriftstellern des Mittelalters entlehnten angenehmen Ton der Altertümlichkeit weg.

Da unser Bruder Johannes seligen Angedenkens, der beinahe fünfzig Jahre unter dem bescheidenen Gewand der Laienbrüder unsere Congregation mit den Düften der Tugenden unablässig durchwehte, dereinst den unverwelklichen Ehrenkranz empfangen wird, ist es so sehr würdig und recht, von diesem Mann Gottes zu künden, was wir wissen, "weil ja auch des allmächtigen Gottes Barmherzigkeit, der diesen Orden auszuzeichnen für würdig erachtete, noch mehr erhöhet werde und die Zöglinge eben dieses Ordens mehr und mehr zur Liebe seiner Ordnung entflammt werden", wie der Verfasser der Exord. Cisterc. Buch VII, 1.Kapitel, schreibt.

2. Wie er sich in der Welt aufhielt

Unser Johannes hatte seinen Ursprung im Dörflein Dechingen, in der Provinz des deutschen Bundes, die Würtemberg heisst. Es ist eine, wie jedermann weiss, vom jüdischen Unglauben und ketzerischen Verderbtheit überaus befleckte Gegend. Der Honig aus Stein und Öl aus härtestem Fels hervorbringt sorgte weise dafür, dass unser Johannes aufkeimte wie eine Lilie zwischen den Dornen des Irrtums und der Verkehrtheit. "Die erste aller Gnaden, ruft unser Bruder aus, mit denen mich der Herr überhäufte, war meine Geburt; zwischen Protestanten und Juden wurde ich von katholischen Eltern katholisch geboren." Vater war ihm Tiberius Stiehle, Mutter aber Anna Maria Geiselhart: sie waren aber beide gerecht vor dem Herrn, einhergehend in allen Weisungen und Rechtfertigungen des Herrn ohne Klage: so wie unsere Urvorfahren bearbeiteten sie die Erde und im Schweisse ihres Angesichts assen sie ihr Brot. Geboren wurde ihnen sieben Söhne und fünf Töchter, die ohne Ausnahme, in dieser unnützen Welt sich verweigernd der Gottlosigkeit und den weltlichen Begierden, nüchtern, gerecht und fromm lebten. Bis heute leben noch vier Nichten von Johannes, welche den besseren Gnadengaben nacheifernd, erwählten, nicht im Bauch schwer zu werden, sonderm im Geist zu wachsen, nicht mit der Brust Milch zu bekommen, sondern im Herzen zu erglühen, nicht mit dem Bauch die Erde, sondern mit den Gebeten den Himmel zu gebären, um die Worte des Augustinus an Probas zu gebrauchen. Sie leben in Österreich und dienen bei den Töchtern der Liebe den Herrn der Armen und Kranken mit jedweder Hingabe..

Unser Bruder Johannes wurde der Welt geboren, im Jahr seit der Geburt (aus) der Jungfrau 1829, am ersten Tag des Juni; wiedergeboren aber für Gott wurde er mit dem Namen des seligsten Vorläufers. Eines solchen Patrons erwies sich unser Bruder nicht unwürdig, der, wie jener, bis zum letzten Atemzug eine glühende und leuchtende Lampe war, glühend ausschliesslich von Liebe zu Gott und dem Nächsten, leuchtend durch ehrlichste Arbeit. Das war allen offenbar durch einen wahrheitsgemässen Bericht seiner Taten.

"Erziehen bedeutet die Kinder zu Christus zu führen; ihre Erziehung Hinführung zu Christus", sagt der hl. Carl Borromäus, Homil. 31. Es ist fürwahr ein grosses Werk, wodurch Mütter der apostolischen Erhabenheit nahekommen! Ihrer Aufgabe war die Mutter unseres Johannes durchaus bewusst: den sie nämlich geboren hatte der Sterblichkeit dieser Welt, gebar sie zum zweiten Mal durch Worte, Beispiele, Seufzer (Betrübnisse) und Gebete, bis dass Christus in ihm herausgebildet wurde. Sie arbeitete nicht umsonst. Ausgestattet nämlich mit einer guten Seele und mit gelehrigem und Höherem zugeneigten Verstand suchte der Junge von klein auf alles was wahr, sittsam, heilig, liebenswürdig und von gutem Ruf war; Gott liebte er als den Vater, der im Himmel ist; die jungfräuliche Mutter aber mit stammelnden Lippen zu verehren und anzurufen war ihm eine Lust. Sobald es altershalber möglich war, wurd er in die Dorfschule geschickt, in welcher er sich ganz dem Lernen hingab. Mit der Kirchengeschichte, dem Religionsunterricht, dem Lesenlernen und dem Rechnen beschäftigte er sich so sorgfältig, dass er alljährlich mit dem den Jungen (Schülern) in Aussicht gestellten Preis ausgezeichnet zu werden verdiente. Welches die Meinung über unseren Buben war, machte der Schulmeister selbst mit diesen Worten klar: "Der Junge ist derartig gut, von Natur aus ernsthaft, von starkem Gedächtnis, von lebhaftem Verstand; mit dem Lernen in einzigartiger Weise beschäftigt überragte er die anderen Schüler bei weitem, denen er ebenfalls nur die besten Beispiele der Reinheit der Sitten vor Augen stellte. Welche Lebensweise er auch wählen mag, ich sage voraus, dass er darin herausragend sein wird."

 Im Alter von zwölf Jahren trat er nach langer vorausgegangener Vorbereitung zum erstenmal zum heiligen Tisch. "Als zum ersten Mal, sagt Johannes, der himmlische Meister in meinem Herzen als Gast eingekehrt war, weihte ich alles was ich war und was ich haben konnte, den Leib, die Seele, das Leben und den Tod dem Herrn; mit angestrengten Gebeten bat ich ihn, mich als Diener anzunehmen und als solchen durch ein Leben der Tugend zum Himmel zu führen. Auch versprach ich vieles in Zukunft zu tun, unter anderem die Flucht vor der Todsünde und den schlechten Gelegenheiten, das häufige Gebet und den monatlichen Empfang der Sakramente. In ähnlicher Weihe gab ich meine Person meiner guten Mutter, der heiligsten Jungfrau hin. Zur Hingabe an sie bis zum Tod liess ich mich durch tägliches Hersagen des Rosenkranzes und anderer Gebete verpflichten. Gott sei Dank! Seinen Vorsehungen blieb ich immer treu."

Dass die in gebührender Weise vollzogene erste Kommunion (Vereinigung) eine Garantie auf Beharrlichkeit ist, lehren alle Asketen; wiederum bestätigt dies das Beispiel unseres Johannes. Nicht viel später empfing der fromme Junge durch das Sakrament der Firmung die Kraft des zu Hilfe kommenden heiligen Geistes, um dadurch mannhafter zu kämpfen mit der Welt, dem Fleisch und dem Teufel, den immer noch erbitterten Feinden des in der Fremde reisenden Christen.

3. Wie er in die Congregation eintrat

Die Weisheit, welche kraftvoll von einem Ende bis zum anderen reicht und alles angenehm einrichtet, pflegt ihre Auserwählten mit wunderbaren Hilfen der vielgestaltigen Gnade durch den stürmischen Abgrund dieser Welt zum Hafen des Heils hinüberzufahren. Auf die eine Weise leitete sie Petrus, auf eine andere Paulus; Petrus rief sie durch den krähenden Hahn und den rückwärts gerichteten Blick. Nun aber hatte der Schmiedemeister, wo Johannes in Diensten stand, eine einzige Tochter, hervorragend an ausgezeichneten Eigenschaften und heiratsfähig, für die er keinen ausser seinem Lehrling zum Bräutigam wollte. Allen gefiehl die Eheschliessung, nur nicht Johannes, welcher eine bei weiterem edlere Verbindung anstrebte, und er lechzte danach auf Erden das zu sein, was die Engel Gottes im Himmel sind. Vom Geist Gottes angehaucht wünschte er, aus Sodoma heraus zum heiligen Berg irgendeiner religiösen Vereinigung zu gehen und alles zurückzulassen, was auf der Welt ist, um das ewige Leben zu erwerben. So lobenswert sicher das Vorhaben, war es indes in der Tat kaum möglich! Um nicht in einer Sache von solcher Bedeutung ins Blaue hinein zu reden, besprach er sich viel mit dem Ananias seiner Seele, das heisst dem Herrn Josef Schneider. Dieser statt die Berufung unseres Bruders Johannes zu befürworten, schien eher dagegen zu sein. "Je mehr ich, sagt Johannes, der Welt einen Scheidebrief senden wollte, desto mehr widersetzte sich jener, obwohl er gut war und vom Eifer um die Seelen entflammt, meinen Wünschen." Zur damaligen Zeit gab es nämlich in jener Gegend kein Kloster, und unsere Congregation war nicht einmal dem Namen nach bekannt. Da ihm keine Hoffnung bei den Menschen leuchtete, erhob Johannes die Augen zum Himmel. Gott und die Jungfrau flehte er mit heissen Gebeten an, die er mit Fasten und anderen Qualen zu würzen besorgt war, damit endlich seine Wünsche erfüllt würden. Sehen wir, wie gut der Herr denen ist, die auf ihn hoffen, der Seele, die ihn sucht!

Im Jahr 1850 kam einer von den Angehörigen unserer Congregation, Pater Joseph Arnold, Mitglied der österreichischen Provinz, unvermutet ins Dorf seiner Vorfahren, Untermarthal, ziemlich nah dem Dorf von Johannes. Die Oberen hatten ihn geschickt, um irgendwelche häuslichen Geschäfte mit seiner Verwandtschaft zu erledigen; Gott aber gross an Rat und unbegreiflich in seinem Vorhaben, dessen Augen offen sind über allen Wegen der Kinder Adams, richtete die Reise des Paters so ein, dass er unserem Orden zwei Angehörige gewinne. Das ist so geschehen. Bei seinen Verwandten weilte der Pater fast drei Wochen. Damit ihm aber die kostbare Zeit nicht zu müssig verstreiche, vermittelte der unseres von grossem Eifer getriebenen Gründungsvaters würdige Sohn seinen Mitbürgern die heiligen Übungen in Form einer Mission. Zu deren Versammlungen war der Zulauf gross: dabei waren sowohl Johannes wie auch sein Beichthörer, Herr Schneider, ein Priester, wie ich schon sagte, geziert mit den apostolischen Tugenden. Beide hatten fast an allen Tagen Besprechungen mit dem Ordensmann; unter anderem sprach der Beichthörer von der Berufung seines Beichters. Diese Gelegenheit ergriff unser Arnold, selbst den Priester von unserem Institut zu überzeugen. Freundlich das Nützliche mit dem Heilsamen verbindend zeigte er, dass alles unter der Sonne vergänglich ist, dass der Tod bevorsteht, dass Tag und Stunde des Todes ungewiss; er rühmte das Glück des Ordensstandes und pries die den Nachfolgern des Heiligsten Erlösers versprochenen grossen Dinge: mehr noch, so glücklich legte er die Netze seiner Worte zum Fang aus, dass er aus den Fluten der Zeit zwei grosse und kostbare Fische zum Schifflein der Congregation zog, Johannes selbstverständlich und seinen geistlichen Lehrmeister Schneider. Dieser nämlich reiste wenig später nach Aufgabe des seelsorglichen Dienstes zum niederdeutschen Noviziat und legte nach in lobenswerter Weise durchlaufener Lehrzeit die Gelübde im Jahr 1852 feierlich ab, am Tag der seraphischen Jungfrau Theresia von Jesus.

Kehren wir zu Johannes zurück. Da er von Nation Deutscher war, hoffte P.Arnold zu Recht, er werde in die deutsche Provinz eintreten: das aber ereignete sich, da Gott Besseres vorhatte, keineswegs. Weshalb der Vorgesetzte dieser Provinz es ablehnte, den äusserst frommen Jungen sich seinen Laienbrüdern zuzuzählen, ist uns ein ganz und gar undurchdringliches Geheimnis. Nach in Deutschland erlittener Zurückweisung schaute er sich nach Frankreich um, wo der Hochwürdige P. Leopold Ottmann die Leitung hatte, dem er bekannt war. An jenen also schrieb er einen Brief, indem er sowohl die ehrenvolle Verdienste von Johannes wie auch seinen glühenden Wunsch nach dem Klosterleben eindrücklich empfahl. Ihm antwortete P. Ottmann, Johannes sei zugelassen und er solle, sobald er könne, zum Kloster Teterchen kommen. Nichts war Johannes angenehmer als diese Kunde: weshalb er die Betrübnis und das Wehklagen seiner Verwandten hintansetzend, der anderen Geschwätz und nichtiges Gerede geringachtend dem rufenden Gott auf der Stelle folgte. Ausgezogen aus seiner Heimat und aus seiner Verwandtschaft und aus seinem Vaterhaus kam er nach Teterchen: in Wahrheit das Land der Verheissung, welches Milch und Honig ohne Ende ausgiesst. Die religiöse Berufung ist nach den Wohltaten der Erschaffung und der Erlösung das grösste Geschenk Gottes, und ein offenbares Unterpfand der seligen Vorherbestimmung. Solch grosser Gnade zeigte sich der geliebte Bruder niemals undankbar; im ganzen Verlauf seines Lebens sagte er Gott Dank dafür, dass er ihn, seinen Knecht befreit hatte aus dem Verderben und errettet hatte von einer ungerechten Zeit und aufgenommen hatte, damit er in seinen Räumen.

Als ein neuer Kämpfer Christi, vom zeitlichen Kleid bis dahin verhüllt, verlegte er sich ganz darauf, die Leidenschaften zu bezwingen, die nach dem Verlassen der Zeit keineswegs zurückbleiben, und die Tugenden anzulegen, die aus dem echten Sohn des göttlichen Alphonsus einen weiteren Erlöser formen. In kurzer Zeit wurde er als würdig erachtet, ins Noviziat aufgenommen zu werden, das er begann am Tag der heiligen unschuldigen Kinder desselben Jahres 1850. Er wird dem Meister Hochw. P. Franz Laglasse zugeteilt, einem trefflichen Mann, dessen Wissen und Tugend jeder kennt. Damit unser Johannes eine unseren Brüdern entsprechende Vollkommenheit erreiche, arbeitete der Meister nicht mit den Sporen, sondern mit dem Zügel, nicht mit der Kraft der Ermahnung, sondern mit dem Steuerruder der Weisheit. Unser Anfänger nämlich war von der Art derer, die das Angesicht Gottes suchen durch Selbstverachtung und Brechung des eigenen Willens. Dem Gebet besonders hingegeben, richtete er beständige Gebete dahin, dass zweifellos der Leib der Seele hingegeben werde, die Seele aber Gott allein. Als daher die Oberen in Johannes einen Mann für sich gestorbenen, nur für Gott und die Congregation lebenden Mann erkannten, gestatteten sie, dass er die Gelübde ablege am 19. Januar 1854. Den Tag seiner Hingabe hielt er immer hoch und heilig: alljährlich pflegte er dessen jährliches Gedenken mit einer äusserst hingebungsvollen Kommunion und anderen Werken der Frömmigkeit zu feiern; ja an einzelnen Tagen pflegte er sogar oftmals die Gelübde zu erneuern, morgens und abends während der Meditation, nach der feierlichen Messe, nachmittags nach der Eucharistischen Besuchung; den anderen riet er mit Bedacht, dies zu tun, da die Profess eine zweite Taufe sei, welche das göttliche Bild in uns erneuert und uns dem Erlöser Christus gleichförmig macht, wie Bernard lehrt im Buch von der Regel und der Einteilung, im 27. Kapitel. Soweit geht die menschliche Schwäche, dass die, welche mit grossem Geist Gott zu dienen beginnen, nach und nach vom Streben nach ihm ablassen und ermüden. "Viel leichter, sagt derselbe Bernard, magst du finden viele Weltliche, die sich zum Guten bekehren, als einen noch so frommen unter den Gottesfürchtigen, der hindurchgeht zum Besseren. Äusserst selten ist der Vogel auf der Erde, welcher von dem zufällig in der Religion einmal erreichten Stand auch nur ein wenig höher steigt." (96. Brief an den Abt Richard von Fontana). Gepriesen sei Gott! Eine derartige Schwäche kannte unser Johannes nicht; seine erste Liebe, empfangen im Elternhaus, vermehrt im Noviziat, vernachlässigte er nach Ablegung der Gelübde nicht im geringsten. Wo er seinen Fuss einmal aufgesetzt hatte, dort sah man ihn immer vorwärts schreiten; was zurückliegt vergessend, sich nach dem, was vorwärts ist, ausstreckend folgte er glücklich dem Tugendpfad der himmlischen Berufung Gottes in Christus Jesus.

"Prüfe dich auch selbst. Stets missfalle dir, was du bist, wenn du zu dem gelangen willst, was du noch nicht bist. Denn wo du dir gefielst, dort bliebst du zurück. Wenn du aber gesagt haben wirst: es genügt, bist du schon untergegangen. Immer füge hinzu, immer sei auf dem Weg, immer schreite vorwärts; bleibe nicht auf dem Weg stehen, gehe nicht rückwärts, komme nicht vom Weg ab. Es bleibt zurück, wer nicht vorwärts schreitet, es geht zurück, wer zu dem sich umwendet, von wo er schon geschieden war; es kommt vom Weg ab, wer abtrünnig wird." So schön wie wahr sind diese Worte! Diese aber durch den Mund des Augustinus ausgedrückt, nahm unser Johannes als eine Lebensnorm an. Möge er Nachahmer seines Fortschrittseifers, damit schliesslich die Zahl der gebrochenen Gelübde ein Ende finde!

4. Wie er nach Amerika kam

Vom Jahr 1854 bis zum Jahr 1873 führte unser Johannes ein in Christus verborgenes Leben in verschiedenen Ordenshäusern des Elsasses und Lothringens. Da er zu allem geeignet war, waren ihm fast alle Dienste unserer Laienbrüder aufgetragen. Er war nämlich Landwirt, Sakristan (Mesner), Pförtner, Krankenpfleger, Gärtner und sogar Koch, wenn auch Laie auf dem Gebiet. Was immer man ihn zu tun hiess, er tat es stets mit grösster Sorgfalt. Von mir gefragt, wie in jener Zeit der liebe Bruder gelebt habe, antwortete der Hochw. P. Anton Jenger: "Da ich bis jetzt in Frankreich war, kannte ich Johannes sehr gut. Nicht nur bei mir, sondern bei allen war er sehr beliebt, bei allen galt er als reinstes Beispiel religiösen Lebens; er war ein Laienbruder von der Art wie sie Obere in ihren Gemeinschaften zu besitzen wünschen, bescheiden, demütig, dem Gebet ergeben, zu allen Arbeiten bereit, wahrhaft stürmisch in der Jagd nach Vollkommenheit. Um alles in einem Wort zu sagen: Bruder Johannes war ein kostbarer Edelstein."

Im Jahr 1870 beauftragte der heiligste Priester Pius IX auf Verlangen der hochwürdigsten Bischöfe von Riobamba und Cuenca unseren General Nicolaus Mauron seligen Angedenkens, Arbeiter in seinen Ecuadorianischen Weinberg zu senden. Daher (kann man sagen) war das Vatikanische Konzil, aus dem so viele Gnadenströme unaufhörlich der heiligen Kirche Gottes zufliessen, unserer Congregation ebenfalls zum Segen: von ihm aus nämlich nahm ihre Glaubensverkündigung über ganz Südamerika ihren Anfang. Die Anfänge andererseits der Gründung von Riobamba und Cuenca waren äusserst bescheiden und arm; alles fehlte den Vätern am Anfang: Gottes- und Wohnhäuser. Denn nicht den Namen Gotteshaus oder Kloster verdiente, was ihnen, sei es zum heiligen Dienst, sei es zum Leben, zur Verfügung stand. Ausserdem, als einige Jugendliche, von der göttlichen Gnade bewegt, als künftige Diener Gottes zu den Brüdern kamen, war es nötig, dass sie zu dem unserem Orden eigenen religiösen Leben vorbereitet wurden nicht nur durch die Lehre des Wortes, sondern vor allem durch das Muster guter Beispiele. Da dies so war, forderte der Obere von Cuenca, Hochw. P. Joseph Glaudel aus Nancy, ein Mann voll des Geistes Gottes, in der Folgezeit von unserem würdigsten Vater Achilles Desurmont einen Bruder an von der Art, dass er zugleich bauen und erbauen konnte, bauen nämlich die materiellen Häuser, erbauen aber die künftigen Novizen durch die anschaulichen Beweise seines äusserst tadellosen Lebens. Wer aber von den Brüdern war dazu geeigneter als Johannes? Wer war jenen in der Beachtung der Regel, in der religiösen Hochachtung der Oberen, in kindlicher Hingabe an die Congregation voraus? Wahrlich keiner. Daher zweifelte unser überaus hochachtbarer Erzvater Desurmont nicht, unseren Johannes, denen in Cuenca zuzusagen, damit er ihrer beginnenden Gemeinschaft gleichsam ein Eckstein und eine sehr starke Säule sei.

Dass die Überseereise ein Opfer ist, gaben alle zu; wie ungeheuer es ist, wie hart wissen nur jene, die sie unternommen haben. Dieses Opfer nun brachte Johannes nach Art der Heiligen dem heiligsten Erlöser, seiner hochgeliebten Congregation und auch dem Heil der Seele dar. Gefragt nämlich von Pater Desurmont, ob er wünsche nach Amerika zu reisen, gab er die wunderbare Antwort: "Ehrwürdiger Vater, als ich in die Congregation eintrat, gab ich meinen Willen auf; der Wille der Oberen ist meiner, einen anderen zu haben erachte ich als ein Verbrechen. Mögen sie also mit mir tun, was ihnen gefällt." Nachdem er dies gehört hatte, jubelte P. Desurmont und hatte eine grosse Freude, und nach Erteilung des Segens fügte er hinzu: "Mein bester Bruder Johannes, ich bin überzeugt, dass du von Gott unserem Herrn berufen bist, der Congregation in Amerika Hilfe zu bringen. Dort werden dich ohne Zweifel viele Arbeiten erwarten, aus denen, des bin ich gewiss, du ebenfalls grosse Heiligkeit schöpfen wirst. Geh also beseelt von grossem Vertrauen, und Gott und die heilige Jungfrau seien stets mit dir!" Nicht viel später bestieg er das Schiff zusammen mit Hochw. P. Ludwig Courtot und den Brüdern Mathias, Viktor und Theodor; am 16. November im Jahr 1873 legte er glücklich in Riobamba an.

5. Aufenthalt bei den Bewohnern von Riobamba

Sobald er Riobamba betreten hatte, hörte er vom Visitator, er sei der Familie von Cuenca zugeteilt. Nichtsdestoweniger war er gezwungen, in diesem Haus bis zum Monat Mai des folgenden Jahres zu bleiben. Den Grund höre in wenigen Worten. Der Hochwürdigste Erzbischof von Quito, Herr Joseph Ignatius Ordonez, hatte, derweil er sich in Paris aufhielt, eine Orgel für seine Kathedrale gekauft; die Orgel war überaus kostbar: Wer aber würde sie aufstellen? Wer sie zum Jubeln zusammensetzen? In Quito, wenn die Stadt auch voll von Leuten war, war keiner. Weil der Erzbischof dies wusste, erreichte er beim Hochw. P. Provinzial leicht, dass unser Johannes dies tue: einem solchen uns in enger Freundschaft verbundenen Vortänzer (Prälat) nämlich irgendetwas abzuschlagen war einfach nicht möglich. Daher geschah es, dass der äusserst bewanderte Bruder am 16. Januar 1874 sich auf den Weg nach Quito machte; im Collegium der Väter von der Gesellschaft Jesu, die von Anfang an bis zur heutigen Zeit fortlaufend Einheimische als Brüder hatten, fand unser Johannes Dach, Tisch, Zelle, in erster Linie aber brüderliche Herzen; bei ihnen wollte er Gast sein. Aber das gestattete der vornehmste Prälat nicht; er liess ihn im eigenen Haus Gast sein, an seinem Tisch sitzen; da jener auf Anraten der Ärtzte immer einen Spaziergang unternehmen musste, war Johannes ein unzertrennlicher Begleiter. Mit dem äusserst demütigen Bruder erlangte jener Erzbischof unaussprechliches Vergnügen. Damals hielt der vortreffliche Garcia Moreno die Zügel unserer Republik in der Hand. Auch jener christliche Ehrenmann war sich nicht zu schade, mit Johannes eine Freundschaft einzugehen, und er schämte sich überhaupt nicht, dessen Gebete seine Person, seine Familie, ja sogar den Staat anzuempfehlen. Einmal war er mit den Ministern und anderen hochrangigen Personen in Streit geraten; um die Heiterkeit des Geistes wiederzuerlangen eilte er zu unserem Johannes: "Bruder Johannes," sagte er, "bete viel, bete immer für mich unglücklichen Staatspräsidenten. Wenn alle mir Untergebenen wären wie du, bescheiden, demütig und dem Gelübde des Gehorsams verpflichtet, könnte ich mit höchster Freude regieren: aber ach! Die Minister und die anderen sind nicht wie mein vielgeliebter Bruder Johannes."

Solange er in Quito war, stellte er nicht nur die Orgel auf, sondern tat sehr viele andere wunderbare Werke, wodurch er grosse Berühmtheit auf sich zog und die Zuneigung aller Bewohner in Quito erwarb. Der Mission, welche die unserer in der Fastenzeit den Quitensern predigte, wohnte unser Johannes bei und soweit er dabei nützlich sein konnte, tat er dies. Ihm wurde aufgetragen, das Kreuz zum ewigen Andenken aufzurichten: er führte tatsächlich was in seinen Kräften stand, mit Geschick aus. Nachdem er viel vortrefflich geleistet hatte, kehrte er schliesslich nach Riobamba zurück, zu Beginn des Monats Mai; Garcia Moreno liess dem Bruder als Preis für die von ihm zum glücklichsten Ende geführten Werke 100 aequatorianische Scudos zukommen.

6. Johannes in Cuenca

Am 11. Mai des Jahres 1874, unternahm unser Bruder wieder eine Reise, deren Ziel Cuenca war: in diesem Kloster blieb er bis zum Tod, stets mit vielfachem Dienst beschäftigt; dabei arbeitete er, mühte sich ab und, wenn der Ausdruck erlaubt ist, brachte sich um; darin machte er bedenkenlos offenkundig, wie glühend er Gott, den Heiligsten Erlöser, die Seligste Jungfrau, und seine Mutter, die Congregation, liebte, nicht nur den unseren, sondern auch den Aussenstehenden. In diesem Kloster zu Cuenca endlich errichtete er, indem er zahllose Gebäude errichtete, seine eigene Heiligkeit auf. Das werde ich bei Gelegenheit erörtern; zuerst aber glaube ich als Vergeltung seiner Arbeit das bedeutende Wunder berichten zu müssen, durch das die gütigste Jungfrau ihren treuesten Diener dem Rachen des Todes entriss.

Am 7. November 1875 also beschloss Hochw. P. Joseph Glaudel sein Leben mit einem wahrhaft kostbaren Tod: er starb aber hingerafft von jener tödlichen Krankheit, die wir auf spanisch nennen "viruelas negras" (Pocken). Wenig später begann Johannes, der den verstorbenen Vater gepflegt hatte, an derselben Krankheit zu ermatten so sehr, dass bald die Ärzte sein Leben aufgaben; am ganzen Körper, von den Fusssohlen bis zum Scheitel sah man nichts als schleimende Pusteln. Unterdessen vervielfachten sich in der Gemeinschaft die Fürbitten und Bussakte; auch in der Stadt wurde unablässig gebetet, dem schon sterbenden und nach seiner Erlösung begierigen geliebten Bruder möge das Leben erhalten bleiben. Der Vater Superior aber hiess Johannes, die Jungfrau von der ewigen Hilfe um Verlängerung seiner Tage zu bitten; denn er wusste, dass sein Leben für die Gemeinschaft überhaupt wichtig war. Dem Befehl gehorsam, mischte der Bruder zu den Gebeten der anderen auch die seinen, und am 19. Tage verpflichtete er sich mit den in folgenden Worten gefassten Gelübde: "O heilige Jungfrau, meine Mutter von der ewigen Hilfe, du sollst selbst sehen, was förderlich ist. Wenn ich später heiliger als jetzt sterben werde, bewahre mir das Leben, das ich ganz Gott und der Congregation aufopfern will. Ich werde mich dir auch nicht undankbar erweisen: denn an allen Tagen meines Lebens werde ich dreimal das Ave Maria als der heiligsten Dreifaltigkeit schuldigen Dank sprechen für alle Gnadengaben, mit denen sie dich überhäuft haben wollte". In der folgenden Nacht, in der zwölften Stunde, als er ausgestreckt lag, verspürte er eine heftige Erregung in allen Gliedern, durch welche alle im Gesicht und an den Händen aufgebrochenen Pusteln völlig verschwanden. In der folgenden Nacht zur selben Stunde, erfuhr er noch eine Erregung, wodurch er vollständig seine frühere Gesundheit erhielt, ohne dass eine Spur der Krankheit zurückblieb. Alle dankten der helfenden Jungfrau, die ihrem kleinen Diener die Jugend erneuert hatte, damit er Kraft habe von neuem sich zu widmen den grössten Werken zum Nutzen der Religion.

7. Bruder Johannes als Architekt

In unserem Land entstand kein grösserer als Johannes in der Baukunst: er war nämlich ein sehr erfahrener Architekt, der seine Kenntnis lediglich auf eigene Faust erlangte. Dass dies wahr ist, beweisen seine Werke; lasst sie uns aufzählen:

Johannes hat unsere Kirche in Cuenca, unserer Herrin von der immerwährenden Hilfe geweiht, nicht nur entworfen, sondern auch errichtet. Er hat selbst ihre Altäre, Tore, Beichtstühle und die Kanzel entworfen und geschnitzt, die Schnitzarbeiten versah er mit angenehmen Farben; er selbst endlich schmückte die Wände und Säulen unseres Tempels mit frommen Mosaiken (Reliefs) und die Frömmigkeit erwärmenden Inschriften. Er entwarf selbst unser grosses, gediegenes und für unser mönchisches Leben äusserst passendes Kloster und leitete den Bau vom Fundament bis zum Dachfirst. Er erbaute in unserem Park für unsere Brüder, die im Frieden des Herrn von ihren Mühen ruhen, eine Grabstätte von wunderbarer Schönheit. Er liess eine unsere Gemeinschaft hinreichend grosse und durch und durch schöne Kapelle gestalten als er schon fieberte und dem Tod nahe war. Schliesslich baute er in unseren beiden Grundstücken, nämlich in Tarqueno und Cojitamba, sowohl die Häuser wie auch die Kapellen. Mehr noch, was an Gutem, was an Geschmackvollem in unserem Haus oder in unserer Kirche erstrahlt, hat Johannes zum Urheber. Eine gleichartige Arbeit leistete er unseren Leuten in Riobamba, denen er beim Kirchenbau und beim Gestalten des heiligen Geräts behilflich war. Gehen wir weiter nach Kolumbien. Den Vätern von Buga entwarf er sowohl Kloster als Kirche, fürwahr ein wunderbares Denkmal, aufs sorgfältigste. Auch die Väter von Cauquena erbaten von Johannes, er möge Kloster und Kirche zugleich ausformen; was er, wenn auch an Kräften schwach und schon erblindenden Augen mit höchstem Wohlwollen tat. Ebenso haben unsere Väter in Lima eine ziemlich geschmackvolle Kirche: aber sie wünschten sich einen Altar. Wer hätte diesen besser herausbilden können als Johannes von Cuenca? Von ihm also forderten sie eine Beschreibung des Altars an und erhielten sie sofort. Er war nämlich von solcher Güte, dass er überhaupt nichts abschlagen konnte, besonders nicht den Ordensbrüdern.

Von den Abtötungsorten der unseren wollen wir die Schritte lenken zu den beiden Jungfrauentempeln der Jungfrauen des Carmel von Cuenca. Im Carmel, den sie als den früheren bezeichnen, stellte Johannes eine den Augen kostbare und den Ohren angenehme Orgel auf und richtete sie geschickt zum Jubeln ein. Im Carmel St. Joseph, oder dem neuen, sind sozusagen alle Gebäude seiner Hände Werk. Das gediegen gebaute Kloster passte er so den Gebräuchen des klösterlichen Lebens an, dass die heiligen Jungfrauen bequem den himmlischen Bräutigam als Mägde dienen können. Was rede ich von ihrer Kapelle? Der heilige Raum ist von vollkommener Anmut, bei derern Ausschmückung Johannes seine eigene Kunst übertraf; man kann sich nichts Erleseneres ausdenken. Die Form des kleinen Gebäudes, die Lieblichkeit der Malerei, die Schönheit des Altars, die anmutige Mannigfaltigkeit der Mosaiken (Reliefs), die Einfachheit des ganzen Baudenkmals liessen dem ebenso erfahrenen wie bescheidenen Künstler sowohl die unauslöschliche Liebe der Nonnen wie auch die echte Bewunderung der Betrachter zukommen. Gehen wir weiter! Den Nonnen von der Unbefleckten Empfängnis, deren Helferin die ehrwürdige Beatrix von Silva Lusitana ist, grub er einen ziemlich tiefen Brunnen, als sie sich in grossem Trinkwassermangel befanden, und baute darin eine Pumpe ein und zwar so geschickt, dass weit über das Bedürfnis der Gemeinschaft hinaus Wasser geschöpft wurde. Die gotische Kirche der Schwestern von dem Heiligsten Herzen, die gemeinhin von Piepus genannt werden, niemand ist, der sie nicht bewundert, niemand, der sie nicht lobt. Denen aber, die sich erkundigen nach dem Baumeister der Kirche von solch erlesener Schönheit, pflegen die gottgeweihten Jungfrauen, welche die Regungen der Dankbarkeit nicht zurückhalten können, zu antworten: "Bruder Johannes ist es: Wer, wenn nicht er, könnte in diesem Land ein ähnliches Bauwerk errichten?" Auf Kürze bedacht, lasse ich die anderen diesen religiösen Frauen geleisteten Dienste. Dem Diözesanseminar, dem Kollegium der Brüder des Heiligen Johannes Baptista de la Salle, den Mädchenschulen, dem Waisenhaus, dem Krankenhaus legte er sorgfältigste Hand an, in so fern er diesen Gebäuden Festigkeit und Ahnsehnlichkeit verlieh. Ich verschweige andere Werke von Johannes; ich verschweige das Collegium der Schwestern von der Vorsehung im Azogues, das Colliegium der Töchter des Hl. Dominikus in Gualaceo, das Krankenhaus derselben Stadt. Ich übergehe die überaus schöne Kapelle unserer Frau vom Tau in Bibian, den Turm der Kirche in Canar, und die auf dem Friedhof desselben Ortes erbaute Kapelle. Wer kann alles von ihm Gebaute auch nur aufzählen? Gleichwohl ragt das heilige Coenaculum (Abendmahlskapelle) unserer Stadt Cuenca unter den vorzüglichen Baudenkmalen unseres Künstlers heraus. Diese Kirche, da sie der nächtlichen Anbetung des verzehrungswürdigen Sakramentes zu dienen hat, entwarf der Bruder so geistreich, dass sie die Form einer Monstranz darstellt. Was aber soll ich sagen von der auffallenden Basilika von Cuenca, bei deren Aufrichtung zum Himmel er zehn Jahre schwitzte? Es ist eine äusserst kostbare Kirche, welche die anderen Basiliken Lateinamerikas verdunkeln wird wie die Sonne die Sterne. Die Kirche ist überhaupt nicht zu beschreiben, nur zu bestaunen. Wenn ich nämlich versuchte, die Schönheit dieser Kirche zu beschreiben, die vollkommene Übereinstimmung aller Teile, die Wucht des Unterbaus, die Höhe und die Eleganz der Türme, die allen Erdbeben unzugängliche Festigkeit der Mauern, die ungeheure Weite des ganzen Gebäudes, würde meine Armseligkeit unterliegen. Bewirke Gott, dass sie trotzdem vollendet werde!

Als Architekt für alles in der Tat ragte hervor der vielgeliebte Bruder. Viele Gebäude nämlich, die unsere Stadt schmücken, hat er entworfen; andere durch hohes Alter oder Erdbeben zerrüttete und Ruine zu werden drohende befestigte er. Daher wurde er vom Herrn Gabriel Arsenio Ullauri witzig "Arzt der Häuser" genannt. Ja sogar die bürgerliche Gewalt bat Johannes oft, den öffentlichen Werken seinen Dienst zu leisten; daher legte der demütige Klosterbruder Brücken über Flüsse, baute Strassen und Wege, errichtete Wasserleitungen und zahlloses anderes derartiges. Das ist in kurzgefasster Rede, was Johannes vollbrachte.

Wunderbar in der Tat ist, dass soviele und so grosse Bauwerke unser Bruder errichtet hat, ein Mann wahrlich klein von Gestalt, der in Europa nur die Grundlagen der Studien gelernt hatte, der keinen Vitruvius zum Lehrmeister hatte, der nicht einmal ein einziges Buch über Architektur gelesen hatte. Wunderbarer noch, dass er als bejahrt, wie er war, schwach an Kräften, häufigen Krankheiten unterworfen und ganz in die Betrachtung der göttlichen Dinge vertieft, so vielen und so beschwerlichen Werken Hand anlegen konnte. Am wunderbarsten schliesslich, dass er derart Wunderbares in diesem Land bewirkte und mit den Handwerkern dieses Landes. Hier nämlich springt die Architektur noch nicht aus der Wiege heraus, und die Maurerkunst ist bis jetzt noch in Windeln gehüllt. Was aber der Handwerker Erfahrung, angeborene Begabung und Zuverlässigkeit ist, weiss jeder. Die einen, mit den Johannes zu tun hatte, kamen zur Arbeit besoffen und stinkend nach reichlichen Trankopfern, andere erlahmten so sehr, dass sie weder mit das Lot benutzen noch einen Stein auf den anderen zu setzen im Stande waren.

Weil das die Leute von Cuenca genau wussten, bedachten nicht nur die gewöhnlichen Leute, sondern auch die Gebildeteren, ja sogar Rechtsanwälte, Ärzte, Militärführer, Amtsvorsteher, Priester, Domherren und schliesslich alle Männer von angesehenem Stand Johannes mit ausserordentlichem Lob. Zu Bewunderung hingerissen riefen sie aus: "Wer ist Bruder Johannes ähnlich? Wer kann ihm gleichgestellt werden in der Kunst des Bauens?" Den sie so sehr lobten, mochten sie auch mit zärtlicher Liebe und als ob er ein Familienmitglied wäre. Bei allen beliebt, niemandem verhasst, hatte Johannes so viele Freunde und Ausrufer seiner Verdienste wie die ganze Provinz Einwohner zählt. Die Zeit zersetzt möglicherweise alles, das in den Herzen der Bewohner von Cuenca tief eingeprägte Andenken an Johannes wird sie nicht tilgen können. In Bruder Johannes nämlich lobten die Leute von Cuenca einen ausserordentlichen Architekten, ausserdem verehrten sie einen von herausragender Heiligkeit glänzenden Ordensmann.

8. Bruder Johannes gilt als Mann vollkommener Tugend

Kühn sage ich, dass Johannes ein heiliger Mann ist. Sechs Jahre lebte ich mit ihm; beide hatten wir ein gemeinsames Dach, gemeinsamen Tisch und dieselbe Lebensweise. Daher hatte ich reichlich Gelegenheit, alles, was er tat, alle seine Schritte, die Worte seines Mundes, die Wünsche seines Herzens zu beobachten. Ich versichere, nichts fehlerhaftes an Johannes bemerkt zu haben, nichts entdeckt zu haben, was zu tadeln wäre. Im Gegenteil, ich sah ihn stets in jenen Tugenden sich bewegen, die einen vollkommenen Ordensmann zieren, die einen echten Sohn des Heiligen Alphons ausmachen, schliesslich passend zu einem treuen Nachfolger des gekreuzigten Erlösers. Wer immer Johannes kannte, stimmte mir zu. Ein paar Wörtchen wenigstens lasse man mich von seinen vielen Tugenden pflücken, da die Kürze dieser Lebensbeschreibung eine längere Abhandlung nicht zulässt. Als er noch ein Novize war, schien er schon ein sehr guter Ordensmann zu sein; als er sich aber ganz Gott und der Congregation in Bekenntnis der Gelübde hingab, jubelte er mit Hilfe der göttlichen Gnade wie ein Riese zur Aufnahme des Laufs auf dem Weg der Heiligkeit. Von da an bis zum Tod entbrannte sein Eifer, so dass er nicht nur den Laienbrüdern, sondern sogar den Vätern zugleich zur Bewunderung und als Beispiel diente. In der Bewahrung der Gelübde war er ein äusserst unbeugsamer Wächter.

Armut
"Nach Recht und Verdienst schreit einer seiner Oberen, ist er ein Armer Christi zu nennen, weil er ja arm lebte dem Geist und der Wirkung nah". Die unreinen Schätze dieser Welt, deren Erwerb müde macht, deren Besitz verunreinigt, deren Verlust quält, verachtete er und erachtete sie als Unwert. Nichts besass er, überhaupt nichts wollte er besitzen. Jene ganz kleinen Dinge, von denen manchmal fromme Herzen umgarnt werden, wollte er nicht einmal berühren, um desto ungehinderter nackt dem nackten Meister zu folgen. Die Kleider aber, die Schuhe und das übrige uns zu Gebrauch überlassene, pflegte er aufs äusserste, damit sie nicht vorzeitig verbraucht würden. Jeden Monat durchsuchte er mit scharfen Augen seine Zelle, um alles aus ihr zu entfernen, was die evangelische Armut verletzte. Von der Sparsamkeit der Heiligen beseelt, sammelte er auch die geringsten und in der Meinung der anderen nutzlosen Dinge ein, wie ein Geiziger die Münzen und verwandelte sie dann wieder zu allgemeinem Nutzen. So, um ein Beispiel anzuführen, bat er dringend darum, Briefumschläge aus Papier, ausgelesene und für den Abort bestimmte Zeitschriften ihm zu geben und benützte sie entweder zum Schreiben oder zum Zeichnen von Gebäuden.

Keuschheit
Diese dem Sohn der Jungfrau und dem Verlobten der Jungfrauen liebste Tugend, pflegte er so sehr, dass er ein himmlisches Leben auf Erden zu führen schien. Im Fleisch nämlich lebte er ohne Fleisch mit einem von den göttlichen Dingen geprägten Geist. Durch alle Sinne atmete er Reinheit; rein in den Augen, die er in beständiger Mässigung auch noch von den erlaubten Dingen abhielt; rein im Mund, aus dem er nur reine Aussprüche hervorbrachte; rein in den Händen, die er von den Tätigkeiten der Dunkelheit abhielt und nur zum Dienst Gottes und zum Heil der Seelen gebrauchte; rein in den Füssen, die er schon von der geringsten Gefahr sich zurückziehen liess; rein schliesslich in der Gestaltung seiner ganzen Person, welche die Herzen der sie Betrachtenden zum Himmel emporhob. Oft hatte unser Bruder dienstlich mit Frauen zu tun: In diesen Umständen aber handelte er stets auf Gewissenhafteste, damit nicht das gottgeweihte Herz von irgendeiner Dalila irregeleitet würde. "Vor der Eva in jeder Frau hüte man sich", sagt Augustinus zu Laetus, Brief 243. Von diesem Rat wich er nie ab. Einmal bat eine geschminkte Frau Johannes, ihr zum Beichten die Ohren zu leihen. Er antwortete ihr voll Ernst: "Meine Dame, ihr müsst auf mich verzichten: Ich kann euch nicht die Beicht hören, denn ich habe schon das Fasten gebrochen; heute morgen habe ich Kaffee zu mir genommen!" Danach ging er weiter. Ein ander Mal, als er sich dem Bau der Mädchenschule widmete, boten ihm kleine Mädchen Früchte an, deren Annahme er mit den Worten verweigerte: "Ich danke euch vielmals. Aber diese Früchte kann ich nicht essen: Wer nämlich diese Früchte isst, wird sterben, ich aber will noch leben." Als die Mädchen dies hörten, begannen sie zu weinen: "Ach! Wir werden sterben, denn wir haben

Den Gehorsam stellte er so hoch, dass er nichts ausser nach Vorschrift der Oberen tat. Sein ganzer Wille hing vom Willen der Vorgesetzten ab, deren Worten nicht nur, sondern deren blossem Winken er Folge leistete, wenn ihre Anordnung auch öfters in gegensätzlichem Geist stand. "Lieber will ich sterben, als nicht gehorchen", pflegte er zu sagen. Er fügte hinzu: "Indem wir tun, was der Obere anordnet, tun wir Gottes Willen: Was sind uns denn die Oberen wenn nicht irdische Göttliche?".

Wenn er Gewissenserforschung unternahm, pflegte er zu sagen: "Mein Vater, in die Congregation bin ich eingetreten, nicht um meinen Willen zu tun, sondern den Willen der Oberen: Darum übergebe ich mich ganz deinem Willen; er soll mit mir tun, was ihm gefällt." Manchmal beurteilten andere Laienbrüder den Beweggrund des Handelns der Oberen weniger richtig, und beschwerten sich über ihre Befehle: "So darf man nicht reden; die von den Oberen schlecht reden, ahmen den Teufel nach: Wir müssen nur gehorchen; der Gehorsam ist der einzige Weg, der zum Himmel führt." Mit diesen und ähnlichen Worten verschloss Johannes, ein wahrer Sohn des Gehorsams, den Mund der Ungerechtes Redenden. Wie sehr verehrte der die Oberen, wie auch immer sie waren! " Er liebte sie", berichtet P. Maret, "wie ein Sohn den Urheber seines Lebens liebt, und hielt sie in Ehren wie Christus den Herrn selbst". Aber es werde gehört der Hochw. P. Rektor der Gemeinschaft von Cuenca: "Fast täglich war Bruder Johannes gezwungen, hinauszugehen, um nach seinen Bauwerken zu sehen. Draussen aber bot sich ihm unzählige Mal die Gelegenheit, entweder sich aus der Strenge des Gehorsams zu entlassen oder aber wenigstens die Erlaubnis des Oberen hinten anzustellen. Wie oft wurde er zum Beispiel gebeten von diesem, eine einzustürzen drohende Wand zu befestigen, von jenem, eine Backstube oder eine Küche zu entwerfen, von einem anderen, andere derartige Dienste zu leisten. In Cuenca nämlich baute oder unternahm niemand irgend etwas, ohne zuvor die Ratschläge von Johannes eingeholt zu haben. Jeder beliebige hätte, dem naheliegenden folgend, die Erlaubnis des Oberen missachtend sich eifrig um die Häuser der Weltlichen gekümmert. Johannes aber tat dies nie. Denen, die ihn baten, sagte er offen: "Mein Herr, wartet ein Weilchen; ohne Erlaubnis kann ich nicht tun, was ihr von mir verlangt; den Oberen werde ich um Erlaubnis fragen, wenn ich sie erlangt habe, werde ich tun, was ihr erbeten habt." Noch einmal sage ich, niemals wagte er, die Erlaubnis zu vernachlässigen. Niemals entschied er sich, die Regel oder die Anordnungen des Oberen zu beurteilen: "Was immer er tat, tat er aus Gehorsam," so sein Rektor. Wenn dieser Gehorsam nun aber nicht heldenhaft ist, weiss ich nicht, wie ich ihn nennen soll.

Die Demut ist die Schwester des Gehorsams, welche in Johannes besonders hervorleuchtete. Von Christus, dem Herrn, den er mit unermüdlichem Eifer in allen Abschnitten seines Lebens nachzuahmen sich redlich mühte, lerne er friedlich zu sein und demütig von Herzen. Wenn auch die ganze Stadt über seine Werke staunte und seine Tugenden rühmte, hielt er selbst sich für einen schwachen Menschen, für den Abschaum der Welt und den Unrat aller. Keinem stellte er sich je voran, keinem erachtete er sich als besser. Die niedrigen Dienste des Hauses verrichtete er mit fröhlichem Herzen als mit gewissem besonderen Recht ihm aufgetragene Verpflichtungen. Einmal ging P. Rektor Alphonse Baumer, auch General Antonio Franco, einen der bedeutenderen Liberalen auf ihn zu, um ihn zu grüssen. Während der Unterhaltung sprachen sie über Johannes. Bei gegebener Gelegenheit zählte General Franco die Verdienste des Bruders auf, nannte ihn einen grossen Mann und aussergewöhnlichen Architekten. "Bewundernswerter als das", fügte er hinzu, "ist seine Bescheidenheit. Nie fand ich einen Menschen der mit so vielen herausragenden Begabungen eine so grosse Bescheidenheit verband." Was soll ich solchen Worten hinzufügen?

Ein echter Sohn der Congregation war unser Johannes. In der Tat nämlich liebte er unseren Orden über alles, und wenn es nötig gewesen wäre, hätte er zum Wohl oder zur Ehre der Congregation bis zum letzten Blutströpfchen vergossen. In der Tat war seine Liebe nicht inhaltlose platonische, unfruchtbare Zuneigung, sondern wirksame, in Werken und Tugenden bewährte. Was immer die Congregation betraf, betrachtete er als seine Sache, froh, wenn etwas Günstiges, traurig im Herzen, wenn etwas Ungünstiges geschah. Gleichsam ein natürlicher Sohn einer so bedeutenden Mutter trachtete er aufs Äusserste nach jenen Tugenden, die sie von den Laienbrüdern in erster Linie verlangt. Vom Gehorsam wurde schon gesprochen: Von der Beständigkeit des Gebets sei die Rede. In dieser Tugend leuchtete er hell im ganzen Verlauf des Lebens. Die im Gebet glühende Jugend beschnitt er zur Regel des Masshaltens, das Mannesalter sicherte er, damit es nicht von den Besorgnissen dieses Lebens zerstreut wurde, und das erkaltende Greisenalter erwärmte er mit den Feuern der heiligen Liebe. Wenn er im Haus oder ausserhalb wachend bei den Handwerkern stand, stiess sein Herz gute Worte des Gebets aus oder widmete sich geistlicher Lesung. Im Haus betete er ohne Unterbrechung; was immer er den nötigen Beschäftigungen an Zeit wegstehlen konnte, widmete er dem Gebet. Früh morgens als erster von allen in die Kapelle gekommen blieb er auch am Abend als letzter von allen. Das Gebet war das Leben seines Lebens. Einmal deutete er in der Freizeit die Auferstehung des Lazarus so: " Lazari sind alle Sünder, alle nicht nach dem Dogma glaubenden, alle Ungläubigen: Sie sind wahrhaft gestorben, sie stinken im Grab der Laster. Damit diese Gestorbenen auferstehen, muss der Herr selbst kommen. Denn der Herr, und nur er, kann Tote zum Leben zurückrufen. Nun aber ist es, damit der Herr komme, nötig, dass von Martha und ihrer Schwester Maria Magdalena gebetet wird. Denn wenn jene Schwestern nicht den Herrn gebeten hätten, wäre ihr Bruder Lazarus überhaupt nicht lebend aus dem Grab herausgegangen. Martha jedoch veranschaulicht das aktive Leben, welches die Priester, die Prediger führen. Magdalena aber bedeutet die der Betrachtung hingegebenen Seelen, welche durch ihre Gebete den Priestern die Gnade erlangen, das Heil der Seelen zu gewinnen." Dies hatte Bruder Johannes vielleicht gelesen; der geistlichen Lesung war er nämlich sehr hingegeben, aber ohne Zweifel war diese Lehre vom Gebet seine Lebensregel. Da er vom Eifer der Seelen entbrannt war, verströmte er für alle seine Seele im Gebet, für die Sünder, damit sie schnell den Weg der Gerechtigkeit zurücklegten, für die Ungläubigen, damit sie nach Ablegen der Irrtümer die Wahrheit erkannten, für die Lauen, damit sie sich erwärmten, für die Gerechten, damit sie noch mehr gerechtfertigt würden. Jeden Tag erflehte er sowohl für sich wie auch für die übrigen Mitglieder der Congregation die grosse Gabe der Beharrlichkeit in wiederholten Gebeten, denn er kannte das Wort des Herrn: Wer aber ausharren wird bis ans Ende, der wird gerettet sein.

Von allen unseren Regeln steht an erster Stelle die mutige und fortlaufende Nachahmung des Erlösers. Von der Liebe, in der er zum Erlöser glühte, angetrieben, hatte Johannes keine grössere Sorge, als sich dem göttlichen Vorbild gleichzuformen. Diese Gleichformung gestaltete sein ganzes Leben und er unterliess nichts, um mehr und mehr vollkommen zu werden; um nicht zu irren, erkundigte er sich bei seinem Seelenberater (Beichtvater), welches die brauchbareren Vorsätze zur vollkommenen Gleichförmigkeit mit Christus Jesus seien. Auch um dies zu erreichen, pflegte er, solange er gesund war, täglich vor der Morgenmeditation und nach der abendlichen Gewissenserforschung, feierlich den Kreuzweg zu begehen, und zwar mit solcher Leidenschaft des Geistes, dass die anderen ihn beneideten. Gegenüber dem Sakrament der Heiligsten Eucharastie erglühte er in bewundernswerter Frömmigkeit; täglich dehnte er seine Unterredungen mit dem himmlischen Gast auf mehrere Stunden aus, immer im knien, mit unbewegtem Körper, mit entflammtem Herzen, mit glänzendem Gesicht und mit auf den von Schönheit verhüllten Gott gerichteten Augen. "Wenn ich Bruder Johannes am Altar ministrieren sah, schien es mir, als sähe ich einen in Fleisch gekleideten Engel, vor der göttlichen Majestät in unaussprechlicher Liebe erglühend." Diese von einem frommen Priester gesprochenen Worte geben die öffentliche Meinung über Johannes wieder. Hochw. P. Auguste Bruchez, der sein Beichtvater war, schreibt: "Unser Johannes ist zu jenen Heiligen zu rechnen, deren Leben in der Verbannung in der Verehrung des Heiligsten Sakramentes bestand; er war ein so eifriger Verehrer, dass er ohne es nicht leben konnte. Wieviele und wie grosse Gnadengaben er aus dem göttlichen Brunnen aller Gnaden geschöpft hat, weiss nur jener, welcher in den Leib seines kleinen Knechtes diese so wünschenswerte Frömmigkeit zu giessen sich entschloss."

Schliesslich wird niemand bestreiten, dass unser Johannes zu denen zu zählen ist, welche die seligste Jungfrau priesen. Jene Mutter der schönen Liebe liebte er nicht nach Art der Knechte, sondern mit der Leidenschaft der Liebenden; ihre Grosstaten feierte er sowohl mit der Verherrlichung seines Mundes wie auch mit dem vortrefflichen Zeugnis seiner Werke. Ausser jenen Gehorsamsbefolgungen, welche von den unseren erbracht werden, bemühte er sich, noch viel mehr zu leisten. Übermässig wäre ich, wenn ich alles aufschreiben müsste. Von der Wiege bis zum Grabe war ihm die Jungfrau alles; mit der Jungfrau betete er, mit der Jungfrau litte er, mit der Jungfrau gab er seinen Geist auf. Glücklich Johannes, der indem er den Jünger nachahmte, den Jesus liebte, Maria zu sich aufnahm! Die wohltätige Jungfrau nämlich war auch alles für ihren treuesten Liebhaber: Licht in der Finsternis, Kraft in Schwierigkeiten, Trost in Widerwärtigkeiten, Helferin beim Erwerb der Tugenden, Helferin in der Beharrlichkeit, Retterin in der Stunde des Todes, Führerin zu den ausserweltlichen Palästen des Himmels (zum ewigen Leben).

9. Seine Auswanderung in den Himmel

Wer gut gelebt hat, kann nicht schlecht sterben, lehrt Augustinus. Daher, weil unser Johannes nach Art der Heiligen gelebt hatte, verdiente er auch zu sterben in der Todesart der Heiligen. Als er ein Greis voll an Jahren, voller an Verdiensten war, abgenutzt durch die Folgeerscheinungen des Alters, durch Krankheiten, sowie durch andere lästige Ermattungen, lebte der Geist, der Leib aber wurde Schritt für Schritt kraftlos. Seit vier Jahren von jetzt an litt er an Krampfadern an beiden Beinen, die Schmerzen aber, wenn auch noch so stechend, ertrug er mit grösster Geduld. Niemals fürwahr hörten wir auch nur das geringste Wörtchen der Klage aus seinem Munde kommen; niemals umwölkte auch nur das leiseste Zeichen der Unerträglichkeit in seinem Gesicht die engelgleiche Heiterkeit, durch die er wie Gold schimmerte. Am Ende des Jahres 1898 liessen durch die Behandlung der Ärzte die von den Krampfadern verursachten Schmerzen ein wenig nach, und es schimmerte uns eine gewisse Hoffnung auf, Johannes länger am Leben erhalten zu können, eine Hoffnung! Als er mit den Füssen nämlich besser stand, wurde er am Magen krank. Jede Art Fleisch, jedes beliebige Essen spie er aus (erbrach er). Vornehme Damen, die der Gemeinschaft anhingen, bereiteten ansehnlichere und leichter verdauliche Speisen zu und schickten sie, welche der Bruder zwar gerne zu sich nahm, dann aber von Übelkeit gezwungen sogleich ausspie. Fast das ganze Jahr genoss er überhaupt nichts ausser Milch, Wein und jenes gebrannte Wasser, welches wir französisch Cognac genannt hören. Seht, von wie grosser Geistesstärke er war. Wenn er auch ein alter Mann war, schwach an Kräften, an den Beinen schrecklich verwundet, durch das ausgedehnte Fasten ausgezehrt, legte er jedoch weiterhin die Hände an Stärkeres an. Früh stand er zu regelmässiger Zeit auf, er widmete sich der eifrigen Erledigung seines Dienstes, er ging hinkend in der Stadt umher, und arbeitete mit solchem Eifer, als ob er ein junger Mann von 30 Jahren wäre. "Bruder Johannes, mahnte Pater Rektor, ruhe ein bisschen; arbeite nicht so sehr; du bist ein alter Mann, krank und verbraucht: es ist nötig, dass du ruhst, sonst wird es dir schlecht gehen." Ihm jener: "Hochwürdiger Pater, ich bin nicht so krank, bis jetzt kann ich arbeiten zum Wohl der Congregation; in diesem Leben muss man arbeiten, im anderen werde ich genug Zeit zum Ruhen haben."

Unterdessen nahm die Krankheit immer grössere Aussmasse an, die im geringsten zu heilen weder das Geschick des Arztes noch unsere Liebe vermochten. Zu Beginn des Jahres 1899, als ich für eine Lebensverlängerung ein Gelübde ablegte, antwortete er mir: "Danke, vielen Dank! Bete aber nicht, dass ich länger lebe, sondern dass ich heiliger sterbe. Der Tod steht mir bevor; bald, bälder als man meint, werde ich sterben." Am 7. Januar wusch er die Schulden des ganzen vorangegangenen Lebens im Blut des Lammes in einer allgemeinen Beicht mit P. August Bruchez, seinem Gewissensleiter. Mit welcher Demut und Herzensreue er dies getan habe, bezeugt P. Bruchez mit diesen Worten: "Die letzte Beicht war die Beicht eines Heiligen." Am 8. Tag, da die Krankheit schlimmer wurde, wurde er geheissen, sich niederzulegen. Was für ein Schauspiel erblickten wir? Der Gerechte lag auf dem Schmerzenslager, sein Leib war kraftlos, seine Seele aber war voll Lebenskraft betrachtend die himmlischen Dinge, ihre Auflösung erwartend, nach dem Paradies trachtend. Nach Art des Apostels verlangte sie aufgelöst zu werden und mit Christus zu sein. Am 11. Tag wurde er mit dem heiligen Krankenöl gesalbt zum letzten Kampf. Vorher ergoss P. Rektor seinen Geist in diese Worte: "Sehr geliebter Bruder Johannes, erlaube dass ich in dieser so feierlichen Stunde drei Wörtchen an dich richte: das erste Wort aber ist ein Wort des Glückwunsches. Du näherst dich bereits dem Hafen des Heils, bald wirst du von der Erde zum Himmel reisen. Welch ein Glück! Du hast die grosse Gabe der Ausdauer in den Händen. Sicher von der Berufung her wirst du bald den Kranz der Tapferen empfangen, den der Herr den Ausdauernden versprochen hat. Daher wünsche ich dir im Namen aller aufrichtig Glück. Das zweite ist ein Wort der Dankbarkeit. Im Namen dieser Gemeinschaft und der ganzen Congregation erstatte ich den grössten Dank für alle Wohltaten, die du an die 50 Jahre lang erwiesen hast. Mit den ewigen Belohnungen wird dich belohnen unser seligster Vater Alphons, dessen Leben du so vollkommen nachahmtest! Das dritte Wort schliesslich ist ein Wort der Bitte. Du wirst zum Himmel reisen. Gedenke dort unser vor dem Herrn, vor der Jungfrau, vor unserem heiligen Vater Alphons; oh mein geliebtester Bruder, gedenke deiner Brüder in Cuenca: Du weisst genau, wie viele und wie grosse Gefahren uns drohen: Führe unsere Sache, lass nicht nach, für uns zu beten. Bete auch für unsere Brüder in Riobamba, für unsere französische Provinz, für die ganze Congregation, für unsere von so grossem Unheil bedrückte Republik. Vergiss auch nicht unsere Wohltäter und Freunde. Bete für alle, dass wir alle heilig leben, heilig sterben und das ewige Glück erlangen." Dadurch bewegt sagte Johannes in wunderbarer Demut: "Ich bin ein nichtsnutziger Sünder, ich habe überhaupt nichts Gutes getan, im Gegenteil, habe ich viele Sünden begangen. Ich bitte alle um Verzeihung für meine Ärgernisse." Er wollte noch mehr sagen, aber Pater Rektor gebot ihm zu schweigen. Nach dem Sakrament der letzten Ölung und als sie die Zelle verliessen, hörte man nur: "Heilig ist Bruder Johannes: Bald wird er den Lohn der Heiligen im Himmel empfangen."

Am 12. Tag kam zu Besuch und um Abschied zu nehmen, Dr. Christoph Thill, gebürtig aus Lothringen, von Beruf Architekt und Baumeister der öffentlichen Wege. Als dieser gute Mann seinen Freund Johannes auf dem Sterbebett liegend und von himmlischer Heiterkeit strahlen sah, konnte er die Tränen nicht zurückhalten und rief aus: "Dieser Bruder ist heilig; überhaupt nichts böses hat er getan, allen jedoch tat er Gutes; nie sah ich und nie werde ich sehen einen gerechteren Mann als Bruder Johannes."

Am 14. Tag kamen die hochwürdigen Herren Bischof Michael Leon und dessen Bruder Dr. Justus: "Hochwürdigster Herr, sagte Pater Rektor, möge deine Erhabenheit Bruder Johannes befehlen, nicht zu sterben. - Befehlen kann ich nicht, sagte der Bischof; aber ich werde den Herrn bitten, den vielgeliebten Johannes immer zu segnen. Was wünschest du, mein Johannes?" Ihm antwortete der Bruder: "Hochwürdigster Herr, nichts anderes will ich als was Gott will. Geschehe an mir sein heiligster Wille: Diesen erfüllte stets unser Herr Jesus Christus, den wir nachahmen müssen sowohl im Leben wie in der Stunde des Todes. Geschehe, geschehe immer der Wille unseres Gottes!" Darauf der Bischof: "Mein Bruder Johannes, jetzt segne ich dich im Namen des Herrn, damit deine Krankheit dir zum Nutzen sei. Morgen werde ich die Messe für dich feiern, im Himmel sei meiner nicht uneingedenk; bete für mich, damit auch ich heilige herauskomme (scheide)."

Danach kam Dr. Justus Leon, der leibliche Bruder des Bischofs und ein ungemein heiliger Mann. Als er noch an der Schwelle der Zelle war, erblickte ich das Gesicht von Johannes verändert: Die Heiterkeit hatte er verloren, traurig und blass erschien es, als ob er ein schreckliches Ungeheuer in der Nähe sähe. Als ich das wahrnahm, ging ich ganz nahe zu ihm: "Was hast du?" wollte ich wissen. Er zu mir: "Versuchungen... der Teufel... Keuschheit..." Ich begriff. Es war wohl offenbar der Teufel herabgestiegen zu dem äusserst keuschen Bruder, in grosser Wut wissend, dass er wenig Zeit hatte. Ich nahm also Weihwasser und betete. Danach kam die Heiterkeit wieder. Domherr Justus Leon sagte dem Sterbenden ebenfalls Dank und sprach viele Glückwünsche aus, dass ihm die Stunde der Heimkehr gekommen sei zum Vater, der im Himmel ist. "Viel geliebter Johannes, sagte er, siehe, dir ist der Himmel geöffnet. Vor Gott, vor der Jungfrau, unserer Herrin gedenke meiner, gedenke des Herrn Bischofs, gedenke der heiligen Kirche, gedenke aller Menschen." Seinen Wünschen sagte er Johannes wohlwollend zu. Was noch? Als Johannes allein war, betete er unablässig; er vervielfachte die Akte der Liebe, die heiligen Bilder Christi Jesu, unserer süssesten Herrin von der immerwährenden Hilfe, des heiligen Patriarchen Joseph, des heiligen Alphons und des seligen Gerhard küsste er mit grösster Hingebung. Wenn er nicht gefragt wurde, sprach er nicht, sondern empfahl Gott alle Ränge der Kirche, dem obersten Hirten, die Vorsteher (Bischöfe), die Ältesten (Priester), die Schar der Leviten (Diakone), die Ordensleute, die heiligen Jungfrauen (Klosterfrauen), die Gläubigen, die Sünder, alle Menschen jeder Art; für ihr Heil opferte er sein Leben. In den Märtyrergeschichten wird berichtet, der heilige Bischof Fructuosus habe, als er schon der Folter unterworfen worden war, einen gewissen Felix auf die Frage, ob er seiner erinnere, gesagt: "Ich muss an die vom Aufgang bis zum Untergang verbreitete allumfassende Kirche denken." Dasselbe darf man sicherlich von unserem Johannes ebenfalls sagen. Sterbend wie lebend kümmerte er sich immer um und förderte er das Heil der Seelen, die Vermehrung der Kirche und den Fortschritt der Congregation. Er war im Tod, was er im Leben gewesen war, ein Apostel durch das Gebet.

Als der 19. Tag, nämlich der Jahrtag seiner Ordensprofess aufleuchtete, erneuerte er in möglichst feierlicher Weise vor Pater Rektor sowohl das Tauf- als auch das Ordensgelübde; das tat er nicht nur einmal, sondern vielfach im Verlauf jenes Tages. Am Abend, zur Stunde des Abendmahls (Nachtessens), als ich mich mit diesen Worten von ihm verabschiedete: "Bruder Johannes, ich gehe jetzt, aber morgen werde ich wiederkommen", sagte er zu mir: "Ich gehe ebenfalls – wo gehst du hin? - Ich gehe zum Himmel." Das waren die letzten Worte, die ich aus seinem Mund vernahm. Am anderen Tag nämlich, am zwanzigsten, ungefähr in der dritten Stunde vor Mittag (3 Uhr nachts) entschlief er sehr friedlich im Herrn in Anwesenheit von Pater Rektor und Bruder Hilarius. Ohne Todeskampf ging er von uns weg, und sein Tod muss als Schlaf bezeichnet werden; die Dabeistehenden merkten nämlich am Aufhören der Atmung, dass der vielgeliebte Bruder zur himmlischen Heimat fortgegangen war! Oh glücklicher Tod, durch den das Leben nicht genommen, sondern zum ewigen Leben umgewandelt wird!

Fast siebzigjährig hatte Bruder Johannes gewissermassen ein halbes Jahrhundert im Schoss der Congregation gelebt, in den Ordensgelübden aber 45 Jahre.

10. Seine Beerdigung

Als der Bruder gestorben war, weckte mich Pater Rektor sogleich und sagte: "Johannes ist tot". Als ich dies gehört hatte, ergriff eine unaussprechliche Freude meine Seele. Ich sah und es sahen die Anwesenden mit mir das vom so vielen Fasten, so vielen Nachtwachen, von so vielen Bussanstrengungen, bleiche ausgemergelte ausgezehrte Gesicht unseres Johannes von ungewohnter Anmut so sehr sich verjüngen, dass man es für lebendig gehalten hätte. In der neunten Stunde wurde der Leib in der Kirche aufgebahrt am Altar unseres seligen Vaters Alphons. Sogleich kamen der Bischof, der Apostolische Verwalter, die Domherren und ungezählte Ströme von Menschen. Die ganze Stadt war gerührt, die ganze Stadt eilte zu der heiligen sterblichen Hülle, einmütig hörte man: "Er ist heilig; Bruder Johannes ist zum Himmel geflogen. Was für einen Mann haben wir verloren! Was für einen guten Schützer gewannen wir im Himmel!" Keiner von den Männern, keine von den Frauen oder Mädchen erfuhr jenen Schrecken, welchen Leichen gewöhnlich einflössen. Ein zehnjähriges Mädchen antwortete mir auf die Frage, ob sie Angst habe: "Wie sollte ich Angst haben? Dieser Leib ist der Leib eines Heiligen." Nicht wenige Frauen traten mit Scheren an den Leib heran und zerhauten das Gewand und die Haare. Die Wächter mussten aufpassen, dass der Körper nicht zerstückelt wurde. Bis in die Nacht sah unsere Kirche wie ein Marktplatz, voll von Menschen, aus.

Am folgenden, 21. Tag war eine prachtvolle Seelenmesse, und nichts wurde vermisst. Der gewaltige Zulauf von Leuten, der ernste Gesang, die entsprechende Ausschmückung unserer Kirche. Die Bestattungszeremonie gestalteten die versammelten Chorherren mit einer Pracht, wie sie kaum beim Totenamt von Bischöfen üblich ist. Nach dem Hochamt wurde der Leib in das sehr schöne Grabmahl gelegt, welches Johannes selbst für die Verstorbenen der Congregation mit auffallender Eleganz gebaut hat. Dort ruht der Leib in Frieden, die Seele aber erfreut sich des ewigen Lichts.

Das Andenken der Menschen vergeht mit Getöse. Das Andenken der Heiligen bleibt in Ewigkeit. Das erfüllte sich auch im vielgeliebten Bruder. Da er in der Meinung aller heilig war, begannen sie, seine Reliquien zu fordern; alle empfahlen sich seinen Gebeten; noch mehr erwählten ihn zu ihrem himmlischen Schutzpatron, denen der selige Bruder aussergewöhnliche Gnaden und wahre Wunder bewirkte. Möge dies hier zu berichten gut sein sowohl für meine Hingabe an meinen heiligen Freund als auch für den Nutzen der Leser. Aber schon ist es Zeit, die vielleicht etwas längere Schrift zum Ende zu bringen. Es bleibt, unseren Johannes nachzuahmen: Glauben wir, was er glaubte, hoffen wir, was er hoffte, lieben wir, was er liebte. Um mit ihm in der Heimat zu jauchzen, seufzen wir auf der Wanderschaft; denn, wie Augustinus lehrt, "wer als Wanderer nicht seufzt, wird sich als Bürger nicht freuen."

Übersetzung vom Lateinischen ins Deutsche: Kurt Effinger, Dächingen